Ist die klassische Produktdenke obsolet?

»Das Geld liegt im Geschäftsmodell, nicht in der Hardware«

1. September 2017, 10:30 Uhr | Karin Zühlke
© Markt&Technik

Die Digitalisierung schreitet disruptiv voran und stimmt vielerorts den Abgesang auf etablierte Geschäftsmodelle an. Gilt das auch für die Elektronik-Industrie? Im Markt&Technik-Forum »Distribution & Supply Chain« wurde das mit Distributoren, Komponenten/System-Herstellern und EMS-Firmen diskutiert.

In Zeiten der sogenannten „Ökonomie der Plattformen“ können Geschäftsmodelle beinahe endlos skalieren. Andererseits tauchen aus dem Nichts neue Unternehmen auf, die plötzlich ganze Branchen ins Wanken bringen: Einige der größten Telekommunikationsunternehmen besitzen praktisch keine Telekommunikationsinfrastruktur – zum Beispiel Skype und WeChat. Alibaba, in Asien schon eine der größten Online-Handelsplattformen, die inzwischen auch in Deutschland an den Start ging, betreibt keinerlei Lagerhaltung. Und die weltweit größten Softwarehändler wie Google und Apple schreiben selber nur wenige der verkauften Programme. Diese Plattformen bündeln Angebote, werten Daten über Big-Data-Analysen intelligent aus und nutzen teils auch die Macht der Sharing Economy für sich. Wer sich nicht rechtzeitig auf die neue Welt einstellt, könnte am Ende das Nachsehen haben, weil ein anderes Unternehmen in der Lieferkette seinen Platz eingenommen hat. Unternehmen sind also gut beraten, die Rolle solcher Plattformen in ihrer Wertschöpfungskette zu prüfen und ihre eigene Stellung kritisch zu hinterfragen.

Einige Unternehmen haben genau das bereits getan. Sie stellen zusätzlich zu ihren Produkten gekoppelte digitale Services bereit oder stellen ihre Geschäftsmodelle innovativ auf „Outcome-based Services“ oder anders bezeichnet „As-a-Service-Modelle“ um. Experten bezeichnen dies als das eigentlich Revolutionäre an der digitalen Transformation, denn damit wird ein grundlegender Paradigmenwechsel eingeleitet: der Wandel vom traditionell produktgetriebenen Verkaufsmodell hin zum Service-orientierten. Was bedeutet das nun für die Distribution und die Elektronik-Lieferkette?
Die Digitalisierung ist mit all ihren Möglichkeiten und Herausforderungen auch bei der Distribution angekommen: IoT, Industrie 4.0 & Digitalisierung sind inzwischen bei vielen Distributoren “Key-Strategie”. Teils wird das Thema aus eigenen Ressourcen abgedeckt, teils wurden auch schlagkräftige Zukäufe getätigt: Avnet hat zum Beispiel die Plattform Hackster.io und den Online-Distributor Farnell gekauft und Arrow paktiert mit dem Start-up-Crowd-Investment Portal “Indiegogo”.

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Georg Steinberger, Avnet: »Das Geld liegt im Geschäftsmodell und nicht in der Hardware.«
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Möglichst viel aus einer Hand

»Wir wollen ein Ökosystem schaffen, um dem Kunden möglichst viel Wertschöpfung aus einer Hand zu bieten«, fasst Georg Steinberger, Vice President Communications von Avnet, zusammen. Dabei gehe es aber nicht nur darum, das IoT als „schöne neue Welt“ zu begreifen, sondern »IoT ist auch klassisches Geschäft, weil es sich um Querschnittstechnologien handelt, die in sämtliche Branchen und Systeme hineinspielen“, so Steinberger weiter. Neu dabei ist, dass sich Firmen, die bislang noch wenig oder nichts mit Elektronik zu tun hatten, jetzt Partner suchen (müssen). Aufgrund der Vernetzung entsteht neues Klientel, bestätigt auch Lutz van Remmen von NXP aus Sicht eines Komponentenherstellers. Und das wiederum bietet Chancen für alle in der Diskussionsrunde repräsentierten Firmen: Komponenten-/Systemhersteller, Produktion und Distribution. Aber lassen sich solche Neukunden mit klassischen Vertriebsmethoden und Produkten überhaupt adressieren?

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Martin Bielesch, Arrow »Wir als Distributoren müssen ganzheitliche Lösung anbieten, also neben der Hardware auch Software und Security.«
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Dafür gibt es wohl keinen Königsweg. Jedenfalls dürfte es auf Dauer nicht die richtige Strategie sein, „nur“ Hardware zu verkaufen, denn nicht nur die Margen werden immer knapper, auch der Wunsch nach ganzheitlichen Lösungen steigt beim Kunden. Vor allem die elektronisch noch „jungfräuliche“ Klientel  wird sich durch Produktdenke kaum überzeugen lassen. »Wir als Distributoren müssen ganzheitliche Lösung anbieten, also neben der Hardware auch Software und Security.« Die Herausforderung besteht darin, die richtigen Partner und junge innovative Firmen zu finden und diese mit Gesamtlösungen zu begleiten. »Betrachtet man die letzten zehn Jahre, so stellt man fest, dass es bei den Top-50-Firmen weltweit mehr Veränderungen gab als in den 30 Jahren davor«, unterstreicht Martin Bielesch, President EMEA Components von Arrow

Viel Potenzial ist also allemal gegeben. So sieht es auch Karsten Bier, CEO von Recom, der den steigenden Bedarf von Elektronik am Beispiel von Sensoren verdeutlicht:  Smarte Applikationen brauchen Sensorik. »Mehr Sensorik bedeutet auch mehr „Peripherie-Elektronik“, Data Management usw.«, erklärt Bier. Er glaubt an einen schnellen Wandel und daran, »dass alles noch viel dynamischer werden wird. Und die Dinge, die wir jetzt schon sehen, werden sich noch beschleunigen.«

Wird die klassische Industrie denn auch vom IoT-Boom profitieren – sprich: werden künftige Massenanwendungen von den etablierten Playern aus Automotive und Industrie getrieben? Daran hat Georg Steinberger so seine Zweifel. Betrachtet man das Treiben von Google & Co., sind Bedenken durchaus angebracht. Gerne zitiert wird das Beispiel Kodak – der Traditionshersteller hatte den Trend der Digitalfotografie nicht ernst genommen. Die Folgen sind hinlänglich bekannt. Viele Firmen haben indes aus dem Kodak-Dilemma gelernt und bieten nicht mehr nur ihr Produkt, sondern Komplett-Services an.


  1. »Das Geld liegt im Geschäftsmodell, nicht in der Hardware«
  2. Hardware wird man immer brauchen
  3. Die Teilnehmer

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