Prof. Siegfried Russwurm

»’Konkurrenz’ ist der völlig verkehrte Begriff«

31. Mai 2016, 11:51 Uhr | Karin Zühlke
Prof. Siegried Russwurm, Plattform Industrie 4.0 und Siemens: »Die Barrieren liegen immer da, wo es landes-, branchen- oder technologiespezifische Eigeninteressen oder gar Egoismen gibt.«
© Prof. Russwurm, Siemens

Im März gaben die Plattform Industrie 4.0 und das Industrial Internet Consortium ihre Zusammenarbeit bekannt. Eine informelle Gruppe, der auch Prof. Siegfried Russwurm, Mitgl. der Leitung der Plattform Industrie 4.0, CTO und Mitgl. des Siemens-Vorstandes, angehörte, hat die Weichen dafür gestellt.

Markt&Technik: Es wurde viel spekuliert über die Konkurrenz zwischen den beiden Initiativen „Plattform Industrie 4.0“ und „Industrial Internet Consortium“: Was gab nun den Ausschlag für die Zusammenarbeit?

Prof. Siegfried Russwurm: Lassen Sie mich mal ganz einfach beginnen: Kein Unternehmen, kein Land, keine Regierung wird den Weg der Digitalisierung alleine bewältigen können. Nur wenn alle Beteiligten ihre Kräfte und Kompetenzen bündeln, wird die Umsetzung der Digitalen Transformation, von Industrie 4.0, Industrial Internet und Internet of Things gelingen. Insofern ist auch die Bezeichnung „Konkurrenz“ für die Beziehung zwischen den beiden Initiativen der völlig verkehrte Begriff. Sie arbeiten nicht gegeneinander, sondern sie ergänzen sich. Dies umso mehr, als sich ihre bisherigen Vorgehensweisen unterschiedlich gestalten: Industrie 4.0 geht in die Tiefe und konzentriert sich auf Technologien für produzierende Unternehmen. Das Industrial Internet Consortium (IIC) wiederum deckt mehr die Breite ab, speziell durch das Entwickeln von „Testbeds“. Und genau da setzen wir an, und hier werden wir in Zukunft stärker zusammenarbeiten.

In welchen Bereichen wollen Sie konkret kooperieren?

Erstens werden wir die bisher erarbeiteten Referenzarchitekturmodelle gemeinsam abgleichen. Dass dabei die Plattform Industrie 4.0 mit ihrem Referenzarchitekturrahmen RAMI 4.0 in großer Tiefe auf Technologien für produzierende Unternehmen zielt, während das IIC das Thema „Internet der Dinge“ in großer Breite in seiner „Industrial Internet Reference Architecture“ – kurz IIRA – über verschiedene Branchen angeht, zeigt, wie komplementär wir zueinander aufgestellt sind.

Zweitens wollen wir gemeinsame „Testbeds“ entwickeln. Hier bringt das IIC exzellente Erfahrungen mit, beispielsweise wie man in Konsortien gemeinsam Testszenarien entwickelt. Der von uns gegründete Verein „Labs Network Industrie 4.0“ vereinfacht den Zugriff auf Infrastrukturen, um genau solche Testbeds auszuführen.

Und drittens wollen wir auch die Voraussetzungen für globale Standards abstimmen und – wo möglich – gemeinsam vorantreiben. Das heißt freilich nicht, dass wir unsere spezifischen Aktivitäten einstellen. Nein, sowohl die Plattform Industrie 4.0 als auch das IIC werden jeder für sich an seinen jeweiligen Projekten weiterarbeiten, aber – und darauf kommt es an – in Zukunft stärker aufeinander abgestimmt.

Was plant die Plattform Industrie 4.0 in nächster Zeit?

Die Plattform Industrie 4.0 hat sich im ersten Jahr seit ihrer Neuaufstellung 2015 mehr als bewährt. Wenn man sieht, wie sich der Austausch zwischen Politik, Wirtschaft, Industrieverbänden und Gewerkschaften verbessert hat, lässt uns das optimistisch in die Zukunft blicken. Gerade durch den intensivierten Dialog und die Zusammenarbeit über Branchengrenzen hinweg konnte das Bewusstsein für die Herausforderungen und Chancen von Industrie 4.0 deutlich geschärft werden. Aber wir werden uns nicht darauf ausruhen – im Gegenteil: Auch für die vor uns liegenden Monate haben wir uns ganz konkrete Ziele gesetzt, die wir miteinander erreichen wollen. So wollen wir unsere Forschungs- und Innovations-Roadmap zu Industrie 4.0 fortschreiben. Auf der Hannover Messe vor wenigen Wochen haben wir dazu Anwendungsszenarien vorgestellt, wie Industrie 4.0 in der Praxis und der Weg in die Zukunft der Industrie aussehen können – immer mit dem Kundennutzen im Fokus.

Zudem wollen wir den Standardisierungs- und Normungsprozess weiter unterstützen, ohne den sich eine stärker digitalisierte Produktion nicht umsetzen lassen wird. Hier geht es uns vor allem um die Weiterentwicklung und Etablierung unserer Referenzarchitektur und um den Ausbau der Zusammenarbeit mit internationalen Standardisierungsgremien. Dabei werfen wir immer wieder auch neue Fragen auf – zum Beispiel, wie sich industrielle Kommunikation sichern und die Identitäten aller an der Wertschöpfungskette beteiligten Partner schützen lassen. Eines ist klar: In einer Welt der vernetzten Produktion wird das ein zentraler Aspekt für eine vertrauensvolle und transparente Zusammenarbeit sein. Auch hier wollen wir im Rahmen der Plattform Industrie 4.0 mit konkreten Handlungsempfehlungen den Weg ebnen. Ein Kurzleitfaden zu »I4.0 Security« ist hier nur ein Beispiel. Und schließlich – das ist ein ganz wichtiger Punkt – werden wir uns auch dem Thema der Arbeitswelt der Zukunft widmen, und zwar in einem engen Dialog mit den Sozialpartnern. Dass hier das Thema Aus- und Weiterbildung eine wichtige Rolle spielt, ist unumstritten. Umso wichtiger ist es, alle relevanten Partner in den Veränderungsprozess einzubeziehen. Auch hier kann unsere Plattform mit verschiedenen Aktivitäten unterstützen.

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  2. Zusammenarbeit bei der Normung?
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