Elektrozeutika statt Medikamente

Elektronische Mikroimplantate stimulieren Körperabläufe

2. März 2020, 16:17 Uhr | Hagen Lang
Das flexible Implantat mit 324 Elektroden und integrierter Elektronik stimuliert und erfasst neuronale Aktivität auf der Gehirnoberfläche.
© Fraunhofer IZM | Tim Hosman

Eine neue Gruppe elektronischer Mikroimplantate, bestehend aus einem Stromspeicher, Mikrochips, Elektroden, Funk- und Sensoreinheit kann Nervenzellen direkt ansteuern und physiologische Vorgänge auslösen. Sie könnten Medikamente bei bestimmten Krankheitsbildern künftig ersetzen.

Das Laden der Implantate geschieht durch Ultraschall, der winzige Schwingkörper im Implantat in Bewegung versetzt und es verformt. Die elastische Verformung wird wiederum in Strom umgewandelt. Damit können mittels Elektroden Nervenzellen angesteuert werden. Ziel ist es, Feedback-Schleifen zwischen Nervenzellen und den mit Mikrochips ausgestatteten Mikroimplantaten zu erzeugen und personalisierte und lokale Therapien für die Patienten zu entwickeln, z.B. für Asthma, Diabetes, Parkinson, Migräne, Rheuma, Bluthochdruck.

Um an den neuronalen Schnittstellen Abstoßungsreaktionen des Körpers zu vermeiden, verwenden Bioelektroniker um Dr. Vasiliki Giagka, Gruppenleiterin des Fraunhofer-Institutes für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM Materialien wie biokompatible Polymere, Edelmetalle und Silizium.

Vasiliki Giagka erklärt die Methode: "Elektronische Implantate können unterbrochene Signale auslösen, sie können unerwünschte Signale blockieren, sie können aber auch Signale zu anderen Stellen im Körper überbrücken. Bei Patienten, die die Fähigkeit verloren haben, ihre Blase zu kontrollieren, könnte ein bioelektronisches Implantat jederzeit das Blasenvolumen messen und eine Meldung senden, wann eine Person auf die Toilette gehen sollte. Darüber hinaus könnte es ungewolltes Entleeren der Blase durch Hochfrequenzstimulation des betreffenden Nervs stoppen.“

Hier arbeitet das Fraunhofer IZM mit der TU Delft an miniaturisierter, flexibler und langlebiger Elektronik. Solche Elektroniksysteme müssen einerseits über eine Sensoreinheit verfügen, die das Blasenvolumen erfasst und verarbeitet. Darüber hinaus müssen die Daten drahtlos aus dem Körper gesendet werden – eine Herausforderung, ist doch das menschliche Innenleben mit seinen Organen und Körperflüssigkeiten für das Senden von Funksignalen äußerst ungünstig. Und das Ultraschall-Laden muss zuverlässig funktionieren.

Um die Lebensdauer der idealerweise Jahrzehnte im Körper verbleibenden Implantate zu verbessern, belasten die Forscher in Zuverlässigkeitstests die Mikrosysteme mit elektromagnetischen Schwingungen, Feuchte sowie Temperatur und berechnen daraus zunächst die tatsächliche Lebensdauer. Zusätzlich passen sie das Chipdesign so an, dass sich die elektromagnetischen Belastungen während des Betriebs reduzieren. Hierdurch wird die Lebensdauer der Implantate sowie die mögliche Dauer ihrer Messfähigkeit deutlich verlängert. Bis zur Produktreife ist der Weg aber noch lang. Vasiliki Giagka: „Noch können wir nicht vorhersagen, wann erste klinische Erprobungen möglich sein werden: Zurzeit entwickeln wir passende Testmodelle, die die Zuverlässigkeit der Implantate während des gesamten Prozesses prüfen werden und bis dahin miniaturisieren und optimieren wir die Stimulatoren weiterhin.“


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