Per Atomlagenabscheidung

Forscher erstellen neues »Ur-Kilogramm« zu Kalibrierzwecken

31. Juli 2017, 11:47 Uhr | Hagen Lang
Die zu beschichtende Siliziumkugel muss wie ein rohes Ei behandelt werden. Rechts im Bild: eine der Auflagen.
© Fraunhofer IST/ Falko Oldenburg

Forschern der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) und des Fraunhofer-Instituts für Schicht- und Oberflächentechnik gelang es, eine Siliziumkugel von 1 kg Masse mit nur 10 Mikrogramm Abweichung herzustellen. Das Verfahren ist für Halbleiter-, Elektronik und die PV-Fertigung einsatzfähig.

Der »Ur-Kilogramm« schwächelt: es verliert in seinem Pariser Tresor Masse, ohne, dass man weiß warum. Das neue, künftige Kilogramm soll deshalb als physikalische Konstante definiert werden – und hierfür baute ein Team der PTB zu Kalibrierzwecken ein neues »Ur-Kilogramm« in Form einer Kugel aus isotopenangereichertem Silizium.

Die Beschichtungen der Siliziumkugel sind bereits abgeschlossen, aktuell finden die Messungen an der PTB statt. Die Ergebnisse sollen diesen Sommer vorliegen und auf der Konferenz für Maß und Gewicht im Herbst 2018 vorgestellt werden. Spätestens dann soll das Ur-Kilogramm als Standard abgelöst werden. Auf der Veranstaltung wird über die Neudefinition des Kilos entschieden. Die Forscher vom Fraunhofer IST und ihre Kollegen von der PTB hoffen, dass sich die Siliziumkugeln dort als neuer Kalibrierstandard durchsetzen werden.

Metrologieinstitute und Kalibierlaboratorien sollen künftig die Möglichkeit erhalten, Kopien der Kugeln zu erwerben. Die PTB will drei preislich und qualitativ unterschiedliche Varianten anbieten. Die am Fraunhofer IST entwickelten SiO2-Schichten lassen sich nicht nur auf Kugelsysteme, sondern auf beliebig komplex strukturierte Oberflächen aufbringen. Die Einsatzbereiche sind vielfältig und reichen von optischen Anwendungen über den Halbleiter- und Elektronikbereich bis hin zur Photovoltaik.

Beschichtungskammer
Im Innern der ALD-Beschichtungsanlage am Fraunhofer IST: die Beschichtungskammer für dreidimensionale Objekte.
© Fraunhofer IST/ Jan Benz

Wie viele Atome für den Aufbau einer ein Kilogramm schweren perfekten Silizium-Kugel nötig sind, haben die Forscher zuvor im sogenannten Avogadro-Experiment bestimmt. Dr. Ingo Busch, Physiker der PTB Braunschweig erklärt: »Das Mol ist der Mittler zwischen der atomaren Massenskala und dem Kilogramm.« Das Mol ist die Basiseinheit der Stoffmenge und definiert, dass ein Mol des Kohlenstoff-Isotops 12C genau 12 Gramm Masse besitzt, das sind 6,022 x 1023 oder 602 Trilliarden Teilchen.

»Wir errechnen die Anzahl der Atome in einer Kugel und erhalten über mathematische Gleichungen die Zahl der Atome pro Mol. Vereinfacht gesagt finden wir heraus, was ein Silizium-Atom wiegt und können im Umkehrschluss berechnen, wieviel Silizium-Atome für ein Kilogramm erforderlich sind«, erklärt Busch. Problematisch beim Aufbau einer Silizium-Kugel ist die Bildung von Silizium-Oxid, das ungleichmäßig wächst und die Abschätzung des Gewichts und der Molekülmengen schwierig macht.

Die Forscher des benachbarten Fraunhofer-Instituts für Schicht- und Oberflächentechnik IST haben ein Verfahren entwickelt, das den Auftrag einer alternativen SiO2-Oberfläche erlaubt, die höchsten Anforderungen genügt. »Mit unserem Verfahren können wir eine SiO2-Schicht mit definierter Rauheit und einstellbarer Schichtdicke auf die Kugel aufbringen. Die Schicht ist darüber hinaus stöchiometrisch. Dies bedeutet, dass das Verhältnis der einzelnen Atome untereinander beziehungsweise das Verhältnis zwischen Silizium und Sauerstoff konstant ist«, sagt Tobias Graumann, Wissenschaftler am IST.

Als Beschichtungsverfahren kommt am IST die Atomic Layer Deposition (ALD)/ Atomanlagenabscheidung zum Einsatz. Mit ihr kann eine extrem dünne Oxidschickt mit homogener Dicke auf die Kugel aufgebracht werden, wobei die Schichten-Rauheit unter einem Nanometer bleibt.  »Die Rauheit der Kugel wird durch die Beschichtung nicht nennenswert erhöht. Dies ist ein Faktor, damit die Messunsicherheit 10 Mikrogramm nicht überschreitet. Ein Fingerabdruck wiegt bereits mehr«, sagt Graumann.

Ein Fokus der jahrelangen Forschungsarbeiten lag unter anderem auf der Halterung der Siliziumkugel im Reaktor. Da die Kugel vollflächig beschichtet werden muss, haben sich die Forscher für eine Dreipunktauflage entschieden, sprich das Messobjekt liegt an drei Punkten auf. »Hier machen wir uns die Wirkungsweise der ALD zunutze: Die gasförmigen Chemikalien diffundieren idealerweise zwischen Kugel und den drei Kontaktflächen der Halterung, die somit ebenfalls beschichtet werden«, so der Forscher.


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