Erneuerbare Energien – Gleichstromübertragung und Blindleistungskompensation machen's möglich

HGÜ und FACTs für stabile Netze

20. Oktober 2010, 10:45 Uhr | Heinz Arnold

Das europäische Stromverbundnetz wird immer komplexer, und zusätzlich muss das Netz auch mit der Einspeisung fluktuierender Spannungen und Ströme aus erneuerbaren Energiequellen zurechtkommen. Das bedeutet Schwankungen der Blindleistung, die kompensiert werden müssen.

Zusätzlich braucht man zum Ausgleich der Wirkleistungsschwankungen auch Reservekapazitäten. Für beides eignet sich Leistungselektronik mit HGÜ (Hochspannungsgleichstromübertragung) und FACTS (Flexible AC Transmission Systems) in besonderer Weise, weil sie bedarfsgerecht dynamisch steuerbar sind. Beides lässt sich auf Basis neuer Stromrichtertechniken wirtschaftlich realisieren.

»Die Netze sind vom Konzept her nicht zu den Zwecken gebaut worden, für die wir sie heute nutzen bzw. künftig nutzen möchten«, sagt Prof. Dietmar Retzmann, Director Technical Marketing & Innovations HVDC/FACTS bei Siemens Energy. Ursprünglich wurden Kraftwerke meist in der Nähe von Städten und Lastzentren gebaut und das umgebende Netz dementsprechend passend zur benötigten Leistung ausgelegt. Dann wuchs der Strombedarf, und die Leistung musste zunehmend auch über längere Entfernungen aus den Nachbarnetzen herangeholt werden. Zusätzlich, im Zuge der Deregulierung, wurden auch Standorte von Kraftwerken verlagert, und zudem sind schon heute große Mengen von volatiler Windenergie vielen Ländern installiert. Das bedeutet, dass der Stromtransport weiträumiger wird, wodurch einzelne Leitungsabschnitte überlastet werden und Engpässe (Bottlenecks) im System entstehen können.

Das kann dann auch zu Instabilitäten führen, die die Netze zusätzlich belasten: z.B. durch sogenannte Inter-Area-Leistungspendelungen mit sehr niedrigen Frequenzen (unter 1 Hz), bei Amplituden bis zu 1000 MW und mehr. Dies kann man sich über ein mechanisches Ersatzbild veranschaulichen, bei dem die Europäischen Teilnetze wie große Massen reagieren, die mit schwingungsfähigen Federn gekoppelt sind, und die unter bestimmten Umständen dann beginnen, gegeneinander zu schwingen. Auch hier kann Leistungselektronik mit HGÜ und FACTS zur Dämpfung wirkungsvoll beitragen. Im Moment gilt das europäische Verbundnetz noch als vergleichsweise gut beherrschbar, das kann sich mit dem weiter zunehmendem Anteil der erneuerbaren Energien, allen voran der Windenergie, jedoch ändern. Hier kommt nun die Europäische Version eine Smart Grids ins Spiel, bei dem die notwendige Flexibilität und Aufnahmefähigkeit für regenerative Energien durch intelligente, vernetzte Weitbereichs-Kommunikation und steuerbare Leistungselektronik erheblich gesteigert werden kann.

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Die Ventilhalle der Stromrichterstaion in Suidong
Die Ventilhalle der Stromrichterstaion in Suidong. In den Ventiltürmen richten die Thyristorventile den Gleichstrom in Wechselstrom um.

Was passieren kann, wenn sich kleinere Ausfälle in Teilen des Netzes zu einem großen Blackout aufschaukeln, zeigt exemplarisch der berühmte Stromausfall in USA/Kanada von 2003. Dietmar Retzmann erwähnt das Beispiel gerne als »Lessons learned«, denn daraus sieht man anschaulich, was mit HGÜ gegen die Ausbreitung kaskadenartiger Störungen und Instabilitäten getan werden kann: Weil die kanadische Provinz Ontario einschließlich der Region um Toronto mit dem US-Netz synchron, also fest und ungeschützt verbunden ist, wirkte sich auch dort der Blackout aus und die Bevölkerung musste einige Zeit ohne Strom leben.

Ganz anders erging es den Einwohnern der Provinz Québec: Das Netz dieser Region ist nur über HGÜs flexibel an das USNetz gekoppelt, daher blieb es von der Störung verschont. Die dortigen HGÜ-Verbindungen verhinderten mit ihrer Firewall-Funktion die weitere Ausbreitung ohne jegliches menschliche Zutun sozusagen vollautomatisch. Zusätzlich konnte Québec durch Energieeinspeisungen aus seinen HGÜ-Systemen auch beim Wiederaufbau der gestörten Netze sehr wirkungsvolle Nachbarschaftshilfe geben.

Doch auch in Europa kann ähnliches passieren. Am 4. November 2006 wurden um 21.30 zwei 400-kV-Leitungen über die Ems – geplant – abgeschaltet, um ein großes Schiff gefahrlos passieren zu lassen. In der Folge wurden einige Leitungen überlastet und das europäische Netz spaltete sich schließlich in drei separate Teile mit unterschiedlichen Frequenzen auf. Zusätzlich speisten Windkraftwerke in die nördliche Überfrequenzregion Strom ein, was die Lage noch verschlimmerte. Es kam zwar nicht zum großen Blackout, aber das Beispiel zeigt, wie anfällig das Netz inzwischen ist, wenn Windenergie zunehmend mit ins Spiel kommt. Das wird sich mit dem weiter wachsenden Anteil der fluktuierenden Sonnen- und Windenergie noch verschärfen.

HGÜ für die Netzstabilisierung

Was läge also näher, mit Leistungselektronik das europäische Verbundnetz zu verstärken? »HGÜs ins Netz zu integrieren, würde nicht nur die Sicherheit erhöhen, sondern es ließe sich auch der Leistungstransport steigern«, sagt Retzmann. In vielen Regionen der Welt, wie Nordund Südamerika, in Indien und China wird das längst gemacht. Auch in Europa gibt es zunehmend HGÜ, bisher aber nur als Seekabelübertragung zwischen den asynchronen Teilen der ENTSO-E. Die Integration der HGÜ ins synchrone Netz (ehemaliges UCTE) wäre hierzu die passende Ergänzung. Dietmar Retzmann ist überzeugt, dass die Netzentwicklung – und die Zeit – sowohl für HGÜ als auch für FACTS arbeitet, und zwar auf mehreren Ebenen:

Erstens würden die erneuerbaren Energien das Problem für die Netzstabilisierung so dringend machen, dass HGÜ-Kurzkupplung und -Fernübertragung zwangsläufig kommen müssen, um den Lastfluss besser zu steuern und entstehende Leistungspendelungen stabilisieren zu helfen.

Zweitens machen große Windparks in der Nordsee Energieautobahnen auch zum Landesinneren hin erforderlich, denn ab einer Länge von 600 km (ab 1000 MW Leistung) ist die HGÜ wirtschaftlicher als die Drehstromübertragung, wegen der geringeren Leitungs- und Trassenkosten. Der ZVEI hatte dazu in 2006 bereits eine Studie vorgelegt (EXGREM). Danach käme HGÜ Leitungsfernübertragung von der Nordsee nach Süddeutschland zuminderst nicht teurer als ein Ausbau mit Drehstromleitungen – würde aber deutlich weniger Fläche in Anspruch nehmen, weil sie weniger Trassenbreite braucht (nur eine bipolare HGÜ Leitung gegenüber einem Drehstromdoppelsystem, was bezüglich n-1 Redundanz äquivalent ist). Dazu käme sozusagen umsonst der weitere Vorteil der besseren Leistungssteuerbarkeit und der dynamischen Netzstützung bei Stabilitätsproblemen.

Drittens gibt es Anwendungen, die eine HGÜ unbedingt erforderlich machen: Wenn die Energie nicht über Freileitungen, sondern über Kabel – unter der Erde oder im Meer verlegt – übertragen werden soll: 80 km sind für ein Drehstromkabel meist die technische und wirtschaftliche Grenzlänge, bei noch größeren Längen ist der Aufwand zur Kompensation der Ladekapazitäten des Kabels meist zu groß. Auf Basis von HGÜ sind sogar Entfernungen über 1000 km mit Kabel technisch kein Problem, und bei Freileitungen wurden 2000 km schon überschritten. Auch für die Anbindung von Offshore Windparks mit Seekabel an das Festland ist ab 80 km die HGÜ ein Muss, siehe das neue Projekt BorWin 2 mit HVDC PLUS.


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