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Mathematik spart Netzsimulations-Aufwand

13. April 2016, 15:08 Uhr | Hagen Lang
© Tom Bayer - Fotolia.com

Regenerativer »Zappel-Strom« belasten die Stromnetze immer stärker. Forscher des Max Planck Institutes für Dynamik und Selbstorganisation entwickelten eine Formel, die bereits vor umfangreichen Simulationen Klarheit schafft, welche einzelnen Stromleitungen besonders gefährdet sind.

Als im November 2006 bei der Durchfahrt eines Kreuzfahrtschiffes auf der Ems sicherheitshalber eine Hochspannungsleitung abgeschaltet wurde, verursachte dies unerwartet einen Kaskadeneffekt, in dessen Folge in West- und Zentraleuropa teilweise stundenlang der Strom ausfiel. Die Volatilität verstärkt eingespeister erneuerbarer Energien erhöht die Gefahr langanhaltender Blackouts sowie von Kurzzeit-Strom-Ausfällen im Millisekundenbereich. Sie beeinträchtigt auch die Stromqualität, bringt vermehrt Strom- und Spannungsspitzen oder -täler sowie Frequenzverzerrungen. Diese reichen bereits aus, um in der produzierenden Industrie Betriebsstörungen zu verursachen.

Einzelne besonders stark belastete Leitungen galten dabei bisher als die potentiellen Schwachstellen des Gesamtsystems, die von Netzbetreibern daher intensiv in aufwendigen Simulationen untersucht werden. Der Physiker Marc Timme vom Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und sein Kollege Dirk Witthaut vom Forschungszentrum Jülich konnten jetzt zeigen, dass diese Schlussfolgerung nicht unbedingt richtig ist.

"Anhand der Verschaltungsstruktur des Stromnetzes und der aktuellen Auslastung der Leitungen können wir jetzt schon vor einem Ausfall berechnen, welche Leitungen am kritischsten sind", sagt Timme. "Wir konnten am Beispiel des britischen Stromnetzes illustrieren, dass eine stark belastete Leitung nicht grundsätzlich kritisch sein muss." Mitzubetrachten ist vielmehr die Auslastung, Dimensionierung und Verknüpfung des umgebenden Stromnetzes. Hiervon hängt es ab, ob und wie sich der Strom beim Ausfall einer Leitung "selbstorganisiert" seinen neuen Weg sucht.

Auf Basis der bekannten Netzstruktur und -Dimensionierung  geben die Forscher die Störung eines Netzabschnitts AB ein und erhalten eine Zahl, die Auskunft über die Wahrscheinlichkeit gibt, mit der das umgebende Netz in der Lage ist, den Ausfall der Leitung AB zu kompensieren. Ist sie zu klein, ist ein Blackout zu erwarten. Die Analyse des britischen Stromnetzes zeigte, dass die intuitive Annahme "hochbelastet = kritisch" nur einen groben Anhaltspunkt gibt. "Sie trifft aber keineswegs immer zu, weil Netzwerkeffekte eine zentrale Rolle spielen", so Timme.

Rangliste mit Problemabschnitten

Mit ihrer Formel können die Forscher erheblich schneller als mit tausenden "Wenn-dann"-Simulationen für jeden Netzabschnitt die Kritikalitäten errechnen. "Alles in allem können wir jetzt deutlich besser vorhersagen, ob ein Netzabschnitt kritisch ist oder nicht", resümiert Studien-Mitautor Martin Rohden. "Mit unserer Formel können wir eine Rangliste erstellen, nach der detaillierte Simulationen durchgespielt werden", sagt Timme. Netzbetreiber und Energieversorger können damit zwar nicht auf Simulationen verzichten, sie können aber Priorisieren, wo Simulationen wirklich nötig sind, und damit Zeit und Aufwand sparen.


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