Noch ist Deutschland europäisches Schlusslicht in Sachen Smart Metering – doch es kommt Bewegung in den Markt

»Das Marktpotential ist enorm«

7. April 2011, 16:19 Uhr | Nicole Wörner
Dr. Peter Heuell, Landis+Gyr: »Ich rechne damit, dass der deutsche Markt erst in zwei bis drei Jahren richtig anziehen wird. Aber auch auf kurze Sicht ist das Potenzial groß.«
© Landis+Gyr

Landis+Gyr gilt als Weltmarktführer im Bereich intelligenter Zählersysteme. Das Schweizer Unternehmen erwirtschaftete im vergangenen Jahr rund 1,6 Milliarden US-Dollar Umsatz. Davon entfielen etwa 56 Prozent auf den Bereich Smart Metering. Wir sprachen mit Dr. Peter Heuell, CEO von Landis+Gyr Deutschland über die Marktentwicklung und über die Aussichten für das gesamte Smart Grid.

Energie&Technik: Herr Dr. Heuell, Smart Metering kommt in Deutschland immer noch nicht so recht in Gang. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Marktbarrieren?

Dr. Peter Heuell: Die Bundesregierung verfolgt einen so genannten marktgetriebenen Ansatz, der Bewegung in den Markt bringen soll. Doch bisher erweist sich genau dieser Ansatz als eine Marktbarriere: Denn die regulatorischen Vorgaben, was ein Smart Meter können muss, sind nicht konkret genug. In der Folge herrscht bei den Energieversorgern Zurückhaltung. Mit der EnWG-Novelle, die zurzeit angestoßen wird, werden nun aber voraussichtlich wichtige Neuerungen eingeführt. Zum Beispiel soll festgeschrieben werden, dass die bidirektionale Kommunikation der Smart Meter Pflicht ist.

Was den Markt derzeit ebenfalls noch bremst, sind die Standardlastprofile bei Haushaltskunden. Obwohl die Energieversorger seit Anfang des Jahres auch variable Tarife anbieten müssen, lassen sich lastvariable Tarife deutschlandweit an einer Hand abzählen. Das mangelnde Engagement der Energieversorger ist nicht verwunderlich: Solange sie die Haushaltskunden nach einem synthetischen Lastprofil statt auf Basis der tatsächlichen Verbrauchskurve beliefern und bilanzieren müssen, lassen sich keine Beschaffungsvorteile generieren. Das Angebot lastvariabler Tarife ist für Stromlieferanten also völlig unattraktiv. Das hat auch die Bundesnetzagentur erkannt. Um die Beschaffung im Bereich der Haushaltskunden zu flexibilisieren und den Lieferanten entsprechende Einkaufsvorteile zu verschaffen, müssten aber verschiedene Gesetzes-Paragraphen in der Messzugangsverordnung (MessZV) sowie der Stromnetzzugangsverordnung (StromNZV) geändert bzw. angepasst werden. Ein rechtspolitisches Mammutprojekt.

Stellt auch das Thema Datenschutz immer noch einen Hemmschuh dar?

Ja, denn dies ist ein Thema, das den Endverbraucher massiv beschäftigt. Wir bei Landis+Gyr messen dem eine sehr hohe Priorität bei. Aber auch auf Bundesregierungsebene ist dies ein vordringliches Thema. So entwickelt die Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) derzeit einen für alle Zähler verpflichtenden Schutzprofil-Standard, der sicherlich europaweit führend sein wird. Ist das Schutzprofil erst einmal erstellt, müssen sich alle Smart-Meter-Hersteller darauf einstellen und die Zähler entsprechend re-designen.

Wie schätzen Sie diesen Schutzprofil-Ansatz ein?

Wir begrüßen diesen Ansatz natürlich und haben auch schon signalisiert, dass wir ihn nach Kräften unterstützen werden. Allerdings gibt es derzeit noch einige Punkte, in denen es unserer Meinung nach noch Nachbearbeitungsbedarf gibt. Dazu zählt zum Beispiel die konkrete Definition von Schutzklassen. Die Vorlage für das Smart Meter-Schutzprofil enthält bislang keinerlei Feststellungen zum tatsächlichen datenschutzrechtlichen Schutzbedarf. Die Höhe des Schutzbedürfnisses hat jedoch direkte Auswirkungen auf die Maßnahmen, die im Weiteren zum Schutz der Daten zu treffen sind.

Was können Sie als Smart-Meter-Hersteller konkret tun, um den Markt in Bewegung zu bringen?

Landis+Gyr ist in vielen Initiativen aktiv, um die flächendeckende Einführung des Smart Meterings voranzubringen. Wir haben bereits seit 25 Jahren Erfahrung in diesem Bereich und stellen unser Know-How in verschiedenen Gremien zur Verfügung. Wichtig ist vor allem ein einheitlicher Standard zur Sicherung einer umfassenden Interoperabilität und des Datenschutzes. Letztendlich muss aber auch den Endkunden bewusst gemacht werden, welche Vorteile Smart Metering für sie hat. Dabei geht es nicht nur um die Verbrauchstransparenz. Smart Metering schafft die Basis, um Stromverbrauch und -produktion stärker als bisher aufeinander abzustimmen: ein wichtiger Schritt für den Umstieg auf regenerative Energien.

… und damit auch ein wichtiger Schritt in Richtung Smart Grid?

Wir werden in ein Smart Grid gehen – ob wir wollen oder nicht. Doch zunächst muss eine smarte Infrastruktur geschaffen werden. Denn anders als bislang wird der Strom bidirektional fließen, also nicht mehr nur vom Kraftwerk zum Kunden, sondern auch wieder vom Kunden zurück ins Netz. Dieses Mehr an Datenfluss erfordert wiederum eine ausgeklügelte Datenerfassung – hier kommt wieder der Smart Meter ins Spiel.

Entsprechend groß müsste auch das Marktpotenzial für Smart Metering mittel- bis langfristig sein?

Ja, das Marktpotenzial ist enorm, weil die Umstellung gesetzlich obligatorisch, aber auch ökonomisch und ökologisch unumgänglich ist. Konkret gibt es in Deutschland ca. 42 Millionen Strom- und 22 Millionen Gaszähler. Davon sind nur rund 43.000 als intelligente Zähler ausgeführt. Auch wenn Deutschland damit das Schlusslicht in der EU ist, sind die Ziele der Bundesregierung doch ehrgeizig: Bis zum Jahr 2015 sollen bereits 44 Prozent aller Zähler »smart« sein. Zudem müssen seit diesem März die Vorgaben des dritten EU-Energiepakets ins deutsche Recht umgesetzt werden.

Die Stromrichtlinie sieht vor, dass 80 Prozent aller europäischen Haushalte bis zum Jahr 2020 mit intelligenten Stromzählern ausgestattet sein sollen. Nach aktuellen Marktforschungen wird dieses Ziel in der EU erreicht werden. Voraussetzung ist eine wirtschaftliche Prüfung, die positiv ausfallen muss, die aber noch aussteht. Ich rechne damit, dass der deutsche Markt erst in zwei bis drei Jahren richtig anziehen wird. Aber auch auf kurze Sicht ist das Potenzial groß. Schon jetzt kommen einige Pilotprojekte ins Rollen.

Ihr Unternehmen erzielte 2010 weltweit einen Umsatz in Höhe von 1,6 Milliarden US-Dollar, 56 Prozent davon entfielen auf Smart Metering. Wie schneidet Europa im internationalen Vergleich ab?

Die USA treiben unser Geschäft derzeit noch am stärksten – das liegt vornehmlich an Präsident Obamas so genanntem Stimulus-Projekt. Danach kommen Europa und Asien. Innerhalb Europas liegt Deutschland bislang noch hinter den anderen Ländern zurück, aber ich bin sicher, dass sich das in den nächsten Jahren ändern wird. Es wird sein wie immer: Wenn wir erst einmal alles genau untersucht haben und wissen, was wir zu tun haben, werden wir ganz schnell aufholen.

Ab Mitte des Jahres wird Landis+Gyr die Produktion der Ferraris-Zähler einstellen und sich auf Smart Meter konzentrieren. Ist das nicht ein Risiko?

Wenn man als Unternehmen in eine neue Welt geht, ist das immer mit einem Risiko verbunden. Aber das tragen wir gerne, denn wir erkennen das Zukunftspotential. Ferraris-Zähler werden ohnehin nur noch in Deutschland und Österreich eingesetzt – und auch hier wird ihre Zeit bald abgelaufen sein.

Mit welchen Strategien gehen Sie in die Zukunft?

Landis+Gyr ist bereits jetzt der führende Hersteller intelligenter Messsysteme. Wir möchten diese Marktführerschaft weiter ausbauen. Dazu setzen wir auch in Zukunft auf strategische Allianzen. Aktuell haben wir zum Beispiel in Zusammenarbeit mit SAP eine neue AMM-Lösung entwickelt.

 


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