Smartes E-Parkhaus

So wird aus einem Parkhaus ein großer Stromspeicher

19. Juni 2022, 15:28 Uhr | Kathrin Veigel
Das Parkhaus in der Schwäbisch Haller Innenstadt bietet nach einer umfangreichen Sanierung mehrere Ladeplätze für Elektroautos.
© Stadtwerke Schwäbisch Hall

Werden Parkhäuser bald zu großen Stromzwischenspeichern für die Netzoptimierung? Noch ist das dafür nötige bidirektionale Laden von Elektroautos Zukunftsmusik. Die Stadtwerke Schwäbisch Hall und die Hochschule für Technik Stuttgart bereiten diese Zukunft nun mit dem Projekt »Smart_E_Park« vor.

Die Stadtwerke Schwäbisch Hall und der Landkreis Schwäbisch Hall haben als gemeinsame Eigentümer das Parkhaus Langer Graben in der Schwäbisch Haller Innenstadt saniert und im Oktober 2021 wieder geöffnet. Seitdem stehen an rund 100 der insgesamt knapp 500 Parkplätze jeweils maximal 22 Kilowatt Ladeleistung für Elektromobile zur Verfügung.

Was aber nicht heißt, dass diese Leistung jederzeit an jedem E-Ladepunkt abgerufen werden kann. Es gibt verschiedene Restriktionen und Randbedingungen, die beim Betrieb beachtet werden müssen.

Intelligente Steuerung der Ladevorgänge erforderlich

So ist der neue Trafo am Parkhaus Langer Graben für ein Megawatt maximaler Leistung ausgelegt. »Es können also allein schon aus kapazitativen Gründen nicht alle E-Fahrzeuge in dem Parkhaus gleichzeitig geladen werden«, erläutert Prof. Dr. Bastian Schröter von der Hochschule für Technik (HTF) Stuttgart die Herausforderungen. »Vielmehr ist eine intelligente Steuerung der Ladevorgänge erforderlich, um Ladekapazität, Stromangebot und -nachfrage in Einklang zu bringen und aus dem Ladebetrieb ein wirtschaftlich tragfähiges Geschäftsmodell zu machen.«

Dafür gilt es viele Parameter zu erforschen: Wann laden die E-Mobilisten? Um welche Fahrzeugtypen und Batteriekapazitäten handelt es sich? In welchem Batterieladestatus erreichen sie den Ladeplatz? Wie lange und wie viel Strom laden sie? Die Hochlaufphase – bislang sind die E-Ladeplätze in der Spitze zu maximal einem Drittel belegt – vermittelt bereits aufschlussreiche Ergebnisse: »Das bisher gemessene Tankverhalten der Elektromobile ist gänzlich anders als bei Verbrennern«, so Schröter. »Die Leute fahren das Auto nicht leer und tanken dann wieder voll. Es wird viel öfter und auch nur teilaufgeladen – selbst bei noch hohen Ladeständen. Das macht Prognosen natürlich sehr kompliziert. Aber wir schaffen es mittlerweile mit unseren KI-basierten Algorithmen eine Auslastungsprognose zu erzeugen, die sich recht genau mit der Realität deckt.«

Standort des E-Parkhauses bestimmt Nutzerverhalten

Eine zusätzliche Herausforderung sei der Umstand, dass die Ladekurve sich durch externe Faktoren in Zukunft verändern kann und ständig nachjustiert werden muss. Außerdem könne man die Ladekurve vom Parkhaus Langer Graben in Schwäbisch Hall nicht vergleichen mit beispielsweise einem Parkhaus auf einem Firmengelände oder in einem Altstadtquartier. Die jeweilige Situation im Quartier spiele eine wichtige Rolle.

»Es macht sicherlich einen Unterschied, ob es sich um ein innerstädtisches Parkhaus handelt, das die Leute für ihren Einkauf nutzen, oder ob das Parkhaus im Altbau-Wohnquartier ohne zugehörige Tiefgaragen steht und quasi als eine Art Tankstelle für die Nacht fungiert«, erklärt HFT-Professor Schröter.

Fernziel bidirektionales Laden

Das Fernziel lautet jedoch bidirektionales Laden und die Nutzung der E-Fahrzeuge des Parkhauses als großen Stromspeicher. Vereinfacht kalkuliert könnten 100 Fahrzeuge bis zu acht Megawattstunden Strom speichern, das heißt mehr als den zweifachen Jahresstromverbrauch eines durchschnittlichen Haushalts.

Auch wenn nur ein Teil der gespeicherten Energie als Regelreserve nutzbar wäre, ist dies ein attraktives Szenario. Denn durch den Umstieg auf dezentrale erneuerbare Energiequellen und der parallelen Elektrifizierung der Sparten Verkehr und Wärme wird die Steuerung der Energieflüsse immer herausfordernder. In diesem komplexen System, Parkhäuser als kalkulierbare Reserve und Puffer nutzen zu können, kann für Akteure der Energiebranche höchst interessant sein.

Thomas Deeg, Abteilungsleiter Energiehandel, Marketing und Vertrieb bei den Stadtwerken Schwäbisch Hall, sieht das E-Parkhaus perspektivisch als Instrument für den Redispatch-Prozess: »Letztlich geht es darum, Lösungen zu finden, die das Parkhaus zum Erbringer netzdienlicher Leistungen machen.« Deshalb drehen sich einige der nächsten Projektschritte im Parkhaus Langer Graben um das bidirektionale Laden: Wie und in welchem Umfang funktioniert es? Was bringt es?

Integration des E-Ladebetriebs in kaufmännische Prozesse

Ebenfalls auf der To-Do-Liste steht die Anbindung der Ladeprozesse in die Verbrauchsabrechnung. »Die Zukunft wird sicherlich sein, dass der Stromverbrauch daheim und der im Parkhaus gezapfte Ladestrom auf einer Abrechnung stehen, die monatlich gestellt wird«, erläutert Matthias Knödler, Bereichsleiter Energiewirtschaft und Prokurist der Stadtwerke Schwäbisch Hall. Der Rollout intelligenter Messsysteme schaffe dafür die technischen Maßnahmen auf der Metering-Seite.

Gleiches gilt für die Realisierung flexibler Ladetarife im Viertelstunderaster. Auch sie sind ein Instrument für die Netzlaststeuerung, weil Kunden Strom dann günstig tanken können, wenn das Angebot gerade groß ist.

Intelligentes Lademanagementsystem

Die eingesetzte Ladetechnik und das von Enisyst entwickelte Lademanagementsystem im Parkhaus Langer Graben funktionieren bereits. »Ein kaskadierendes Anschlusssystem mit intelligenten Verteilerboxen ist die Basis für ein hoch effizientes Ladelastmanagement«, erläutert Enisyst-Geschäftsführer Dr. Dirk Pietruschka.

Das System ist darauf ausgelegt, Lasten auszugleichen und zu verteilen. Das heißt, wenn mehr Fahrzeuge geladen werden müssen, wird die spezifische Ladeleistung runtergefahren. Es ist aber beispielsweise auch in der Lage, Ladestellen zu priorisieren. So kann man Kunden, die bereit sind, etwas mehr zu bezahlen, eine höhere Ladeleistung zur Verfügung stellen.

Exponentielles Wachstum bei Elektromobilen

Pietruschka resümiert: »Das Thema Lademanagement in Parkhäusern ist komplex, seine Realisierung erfordert viel Technik und Know-how. Um ein E-Parkhaus vorausschauend steuern zu können, müssen viele Informationen und Daten verarbeitet werden.«

Daran wird in Schwäbisch Hall weiter intensiv entwickelt. Denn die Zeit drängt angesichts exponentiellen Wachstums bei den Zulassungszahlen für E-Mobile: »Heute reden wir über eine Auslastung der Ladepunkte von vielleicht 20 Prozent, nächstes Jahr können es schon 80 Prozent sein«, so Thomas Deeg.

Und die Stadtwerke Schwäbisch Hall wollen den zu erwartenden Ansturm nicht nur netztechnisch im Griff haben, sondern aus dem E-Parkhaus-Betrieb auch ein Geschäftsmodell entwickeln, das sich nahtlos in das bestehende Leistungsangebot von Sherpa-X, die Marke für energiewirtschaftliche Dienstleistungen, eingliedert.


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