Den Weg in die mobile Zukunft ebnen, das möchte das Projekt STADT:up. Dabei werden 22 Akteure – von Automobilfirmen über Zulieferer bis hin zu Technologieprovidern und Forschungseinrichtungen – Konzepte und Pilotapplikationen für durchgängiges automatisiertes Fahren in urbanen Räumen entwickeln.
Rushhour in einer deutschen Großstadt: Auf der Zufahrt zum Hauptbahnhof herrscht dichter Verkehr, als ein Zustellfahrzeug unvermittelt in zweiter Reihe hält und den rechten Fahrstreifen blockiert. Also Schulterblick, Lücke finden, blinken, einfädeln, wieder zurück auf die rechte Spur – und noch rechtzeitig vor der Schülergruppe zum Stehen kommen, die in diesem Moment auf den vom Lieferwagen halb verdeckten Zebrastreifen zurennt.
Im Jahr 2023 eine typische Stresssituation für die Person am Steuer mit entsprechendem Gefahrenpotenzial. Umso erfreulicher, dass schon in naher Zukunft automatisierte Fahrzeuge diese Multitasking-Aufgaben für uns übernehmen könnten: indem sie selbst komplexe Situationen erfassen, Intentionen anderer Akteure erkennen, richtig (re-)agieren und die Menschen an Bord sicher zum Ziel navigieren.
Diese mobile Zukunft will das am 1. Januar 2023 gestartete Projekt STADT:up (Solutions and Technologies for Automated Driving in Town: an urban mobility project) möglich machen. Im Rahmen des Projekts werden 22 Akteure – von Automobilfirmen über Zulieferer bis hin zu Technologieprovidern und Forschungseinrichtungen – Konzepte und Pilotapplikationen für durchgängiges automatisiertes Fahren in urbanen Räumen entwickeln. Bis zum anvisierten Projektabschluss Ende 2025 stehen rund 62,8 Millionen Euro Budget zur Verfügung, das Fördervolumen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz beläuft sich auf 33,5 Millionen Euro.
»Automatisierte Mobilität in das dynamische System Stadt einzupassen, ist eine extrem anspruchsvolle Aufgabe. Zum einen, weil sich die Citys in ihren Verkehrsphilosophien teils eklatant unterscheiden; zum anderen, weil wir den Faktor Mensch in allen Facetten seines Handelns berücksichtigen müssen. Im Rahmen von STADT:up bedienen wir uns deshalb datengetriebener Modelle und neuester KI-basierter Methoden – mit dem Ziel, erlebbare Fahrfunktionen für komplexeste Verkehrsszenarien zu erarbeiten und zu demonstrieren«, umreißt Projektkoordinator Dr. Lutz Bürkle von Robert Bosch die Projektagenda. Um dem ambitionierten Aufgabenspektrum bestmöglich gerecht zu werden, erfolgt die Projektarbeit in fünf Teilprojekten.
Die Suche nach zukunftstauglichen Verkehrskonzepten läuft in vielen Städten auf Hochtouren – ein Prozess, an dem unterschiedlichste Stakeholder beteiligt sind: von Städten und Kommunen sowie deren Bürgerinnen und Bürger über Forschungseinrichtungen bis hin zur Automobilindustrie. Deren Vorstellungen und Bedürfnisse werden zunächst im Rahmen einer Dialogplattform gesammelt.
Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse erarbeiten die Forscher einen digitalen Zwilling urbaner Mobilität – also eine hochrealistische Verkehrssimulation. Sie wird einerseits die enorme Vielfalt an Akteuren (Menschen zu Fuß, auf dem Rad oder im eigenen Pkw, aber auch Robo-Taxis, Linienbusse etc.) abbilden; zugleich berücksichtigt sie die sich rasant verändernde Lebensrealität der Stadtbevölkerung – unter anderem mit Blick auf das steigende Nachhaltigkeitsbewusstsein, den Wunsch nach mehr Lebensqualität oder den Trend zu Home-Office-Arbeitsmodellen.
Im zweiten Teilprojekt widmet sich STADT:up möglichen Methoden, wie Menschen und automatisierte Fahrzeuge miteinander interagieren und kommunizieren können. Stichwort: Human-Machine-Interfaces (HMI). Der ganzheitliche Arbeitsansatz berücksichtigt dabei mehrere Perspektiven. Neben der Informationsvermittlung an die Passagiere steht die Frage im Raum, auf welche Weise das Fahrzeug seine Absichten nach außen kommuniziert und spezielle Situationen managt – vor allem, wenn schwächere Verkehrsteilnehmer im Spiel sind.
Da der Erfolg automatisierter Mobilität maßgeblich vom Vertrauen und dem Sicherheitsgefühl der Nutzenden abhängt, liegt ein weiterer Schwerpunkt auf der Entwicklung adaptiver Bediensysteme. Deren Bandbreite reicht von sensorbasierten Leuchtkonzepten bis hin zu einem »empathischen Assistenten«: Er soll in der Lage sein, die Zustände der Menschen an Bord zu interpretieren und somit als vertrauenswürdiger Co-Pilot fungieren.
Was bei Menschen Augen und Gehirn sind, übernehmen im Falle von automatisierten Fahrzeugen Sensoren wie Kamerasysteme, Lidar oder Radar sowie spezielle Algorithmen. Wie sie darauf getrimmt werden können, anspruchsvollste urbane Szenarien – auch unter erschwerten Bedingungen – zuverlässig zu erfassen und zu interpretieren, ist Gegenstand dieses Teilprojekts.
Hierbei spielen Methoden aus den Bereichen Künstliche Intelligenz und Machine Learning eine Schlüsselrolle. Dank ihnen ist es zum Beispiel möglich, Verkehrsteilnehmer in unübersichtlichen Verkehrssituationen, wie auf schwer einsehbaren Kreuzungen oder beim Parken in zweiter Reihe, zuverlässig zu erkennen und zu verfolgen.
Die durch Datenfusion optimierte Umfeldwahrnehmung ermöglicht es den Projektbeteiligten, sich intensiv den Fragen der Interaktion und Kooperation zu widmen. Hier geht es um verschiedene Entscheidungen, die das automatisierte Fahrzeug im Stadtverkehr treffen muss – etwa die, ein Einfädelmanöver abzubrechen, wenn andere Verkehrsteilnehmer keine Lücke bereitstellen. Zugleich sollen in diesem Projektabschnitt die prädiktiven, also vorausschauenden Fähigkeiten automatisierter Fahrzeuge geschärft werden; schließlich sollen die Handlungsoptionen anderer Akteure stets im Blick haben.
Hierfür nutzen die Forscher datengetriebene Modelle – die ebenfalls zur Anwendung kommen, wenn es um die Planung der folgenden Fahrmanöver geht, Sonderfälle inklusive: So muss ein autonomes Fahrzeug im Zweifelsfall etwa in der Lage sein, eine Sperrfläche zu überfahren, wenn sich von hinten ein Rettungswagen nähert (temporäre, aber rechtskonforme Regelübertretung).
In diesem finalen Teilprojekt schließt sich der Kreis: Die beteiligten Projektpartner werden durchgängiges automatisiertes Fahren in urbanen Räumen konkret erlebbar machen – sowohl im Simulator als auch anhand von Versuchsträgern in einer realistischen Testumgebung.
Ein besonderes Augenmerk legen die Entwickler hierbei auf die Interaktion mit schwächeren Verkehrsteilnehmern: an Kreuzungen, Fußgängerüberwegen, Shared-Space-Umgebungen und Co. Parallel dazu sollen die verbesserten Fähigkeiten der automatisierten Fahrzeuge im Umgang mit komplexen Knotenpunkten, Einfädelmanövern und der Umfahrung von Hindernissen demonstriert und evaluiert werden.