Pedelec-Boom stellt Fahrradindustrie und Akku-Konfektionäre vor neue Herausforderungen

Von der Fahrhilfe für Senioren zum absoluten Trendprodukt

19. Oktober 2011, 12:38 Uhr | Engelbert Hopf
Achim Lösch, Varta Microbattery: »Die größte Batterie bringt dem Kunden nichts, wenn nicht auch Thermomangement sowie die Gesamtauslegung der Batterie und die Lebensdauer eine dem Pedelec angepasste Performance bieten.«
© Varta Microbattery

Hohe zweistellige Zuwachsraten lassen die Fahrradbranche über einen anhaltenden Pedelec-Boom jubeln. Mit dem Einzug Performancestarker Akku-Packs und so effizienter wie leiser Elektroantriebe, sieht sich nicht nur der Fahrradhandel vor neue Herausforderungen gestellt. Batterie- und Pack-Hersteller profitieren vom Boom, warnen aber vor einer Verharmlosung im Umgang mit den leistungsstarken Lithium-Ionen-Packs.

Wenn die tägliche Fahrt zur Arbeit im Anzug auf dem Rad zur flotten, schweißfreien Sause wird, wenn Berge für Pedalritter ihren Schrecken und der Gegenwind seine Kraft verliert, dann sind Pedelecs im Spiel! Pedelecs und E-Bikes, waren auch in diesem Jahr wieder das beherrschende Thema auf der Eurobike in Friedrichshafen. Zwar gibt es bislang davon nach Einschätzung des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) erst 700.000 bis 900.000 in Deutschland, und ihr Verkaufsanteil mit voraussichtlich 300.000 E-Bikes liegt 2011 nur bei 5 Prozent des Gesamtfahrradmarktes in Deutschland, doch den E-Bikes gehört die Zukunft. Mittelfristig geht der ZIV davon aus, dass es sich bei 10 bis 15 Prozent der in Deutschland verkauften Fahrräder um Pedelecs handeln wird.

Konkret wären das dann etwa bis zu 600.000 Stück, eine Verdopplung gegenüber den prognostizierten Verkaufszahlen dieses Jahres. Wie rasant sich der Pedelec-Markt in den letzten Jahren entwickelt hat, lässt sich daran ablesen, dass er sich ausgehend von 70.000 E-Bikes im Jahr 2007 in nur fünf Jahren vervierfacht hat! Für Akku-Hersteller und speziell für die Akku-Pack-Spezialisten ist damit in kurzer Zeit ein massiv boomender Markt entstanden, der die Branche aufgrund seines eruptiven Charakters speziell in der ersten Hälfte dieses Jahres in der Produktion schlicht und einfach vor Kapazitätsprobleme gestellt hat.

Anbieter zum Thema

zu Matchmaker+
Sven Bauer, BMZ
Sven Bauer, BMZ: »Wer Billig-Akkus oder sonstige minderwertige Komponenten aus Fernost verbaut, riskiert nicht nur die Gesundheit seiner Kunden, sondern bringt auch den Ruf der gesamten Branche in Gefahr.«
© BMZ

Moderne Technik mit leisen Motoren, leistungsstarken Lithium-Ionen-Akkus und eine zeitgemäße Optik machen Pedelecs inzwischen nicht nur zu wahren Hinguckern, sie bergen auch ein gewisses Konfliktpotenzial. Noch entfallen laut ZIV 95 Prozent der verkauften E-Bikes auf Räder, deren Motor eine maximale Nenndauerleistung von 250 W bietet und den Radfahrer nur dann unterstützt, wenn dieser auch selbst in die Pedale tritt. Ab einer Geschwindigkeit von 25 km/h, und wenn der Fahrer mit dem Treten aufhört, muß der Elektroantrieb automatisch abschalten. Nur unter diesen Bedingungen gilt das E-Bike/Pedelec als Fahrrad im Sinne der StVZO. Aus diesem Grund bezeichnet der ZVI auch nur diese Produktgruppe als Pedelecs, E-Bikes stellen für den Verband die Gesamtgruppe der mit Zusatzantrieben versehenen Fahrräder dar.

Aktuell liegt die Performance der Lithium-basierten Akku-Packs für Pedelecs nach Einschätzung von Rolf Heiner, Manager Head of German Sales and Power Tool CRM, der Sanyo Component Europe, und Thilo Hack, zuständig für die Bereichsleitung Vertrieb bei der Ansmann Division Industrielösungen, bei 36 V und 9 bis 12 Ah. Einzelne Anbieter bieten auch noch 24-V-Versionen an. Nach Auskunft von Sven Bauer, Geschäftsführer der BMZ, versuchen sich einige wenige Hersteller bereits an 48-V-Lösungen. Unter der oben aufgeführten Prämisse, dass die Pedelecs nur unter bestimmten Bedingungen der StVZO genügen, dürften sich die Entwicklungsanstrengungen jedoch weniger darauf richten, die Performance in Richtung Geschwindigkeit weiter zu erhöhen, als vielmehr in die Richtung, das Gewicht des Akku-Packs zur reduzieren und gleichzeitig die Reichweite des Rades zu erhöhen.

Zwar gibt es auch erste Bemühungen in Richtung sogenannter Speed-Bikes (bis zu 45 km/h), doch aufgrund der damit verbundenen rechtlichen Einschränkungen (Versicherung, Führerschein), dürfte das in Zukunft wohl nur ein Nischenmarkt sein.
Für die Batterie- und Akku-Hersteller, sowie die Akku-Pack-Hersteller bedeutet der E-Bike-/Pedelec-Boom in erster Linie eine unerwartet auftauchende Auftrags- und Umsatzquelle. Ein Markt, der rasch nach Lösungen verlangt. Ein aktuelles Beispiel dafür liefert Jan Hetzel, zuständig für Technischen Vertrieb und Application Engineering bei REVA. »Wir haben auf der Eurobike ein eigenes Gehäuse inklusive der Kontrollerbox für ein Gepäckträger-System vorgestellt, das wir gemeinsam mit einem namhaften deutschen Hersteller realisiert haben«, beschreibt er den jüngsten Coup des Unternehmens, »vom Akku-Pack über die Elektronik und das gesamte Design bis zum Prototypen haben wir das in acht Wochen verwirklicht«. Welche Bedeutung dieses Marktsegment so in relativ kurzer Zeit gewonnen für die Konfektionärs-Branche bekommen hat, lässt sich wohl am besten am Marktführer ablesen. BMZ wird nach eigener Einschätzung in diesem Jahr wohl 400.000 Akku-Packs für Fahrräder ausliefern (siehe dazu auch Interview mit Sven Bauer in der M&T 41/2011). Erklärtes Ziel des Unternehmens ist es, schon im nächsten Jahr über die Produktionsstätten in Deutschland, Polen, China und den USA schon im nächsten Jahr 1 Mio. Akku-Packs für Pedelecs und E-Bikes liefern zu können.

Mit Ausnahme des Batterieherstellers Saft, der nach Auskunft seines Deutschland-Geschäftsführers, Holger Schuh, NiMH-basierte Akkus noch in geringem Umfang liefert, jedoch in absehbarer Zeit aus dem Pedelec-Marktsegment aussteigen wird, verbauen alle im Rahmen dieser Recherche kontaktierten Pack-Hersteller aktuell nur noch Lithium-Ionen-Akkus in ihren Packs. Je nach Hersteller kommen dabei als Aktivmaterialien entweder Eisenphosphat (FePO4), Nickel/Cobalt/Mangan (NCM) oder Nickel/Cobalt/Aluminium (NCA) zum Einsatz. Nach Einschätzung von Dr. Hans-Walter Praas, Managing Director von Texsys, wird sich der Verkaufspreis der Packs, der heute nach seiner Beobachtung bei etwa 450 Euro liegt, mit steigenden Produktionszahlen bei etwa 300 Euro einpendeln. »Das würde dann einem Wert von unter 300 Dollar pro kWh entsprechen«, so Dr. Praas.

Aus Sicht von Hack, dürften 18650-Akkus, wie sie aus dem Laptop- und Power-Tool-Bereich bekannt sind, auf absehbare Zeit auch die Standardzelle für Pedelecs bleiben. Doch auch wenn ihm bisher nichts vom Brand eines neuen Pedelecs oder Akku-Packs zu Ohren gekommen ist, so warnt er doch vor einem zu leichtfertigen Umgang damit: »Bikeakkus sind höheren Belastungen ausgesetzt als Lapotop-Akkus. Dies gilt in Bezug auf mechanische Belastungen wie Stoß, Temperaturdifferenzen und Wasserdichtigkeit«!


  1. Von der Fahrhilfe für Senioren zum absoluten Trendprodukt
  2. Massives Informationsbedürfnis

Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu Batterien und Akkus

Weitere Artikel zu E-Mobility und Infrastruktur