Technische Plattform ermöglicht neue Geschäftsmodelle für das Smart Grid

Virtuelles Kraftwerk für die Energiewende

18. Juni 2012, 14:42 Uhr | Heinz Arnold
Martin Kramer, RWE Deutschland: »Die technische Plattform stellt eine Basis dar, auf der sich verschiedene Geschäftsmodelle wie Bereitstellung von Regelleistung oder Bilanzkreismanagement verwirklichen lassen. Welche das in der Praxis sein könnten, hängt nicht zuletzt von den gesetzlichen Rahmenbedingungen ab.«
© RWE Deutschland

Für den Aufbau virtueller Kraftwerke hat die RWE-Deutschland-Gruppe in Kooperation mit Siemens eine Plattform entwickelt, auf deren Basis sich derzeit Erzeuger mit einer Leistung ab 300 kW wirtschaftlich sinnvoll elektrisch einbinden lassen.

Der Netzservice schließt die Anlagen an und führt sie zu einem virtuellen Kraftwerk zusammen; der RWE Vertrieb vermarktet den Strom gebündelt an der Börse. Martin Kramer von RWE Deutschland will diese Grenze künftig weiter senken und neue Geschäftsmodelle auf Basis der Plattform entwickeln.

Energie & Technik: Innerhalb von drei Monaten hat die RWE Deutschland-Gruppe Verträge über eine Vermarktungsleistung von 150 MW für ihr virtuelles Kraftwerk abgeschlossen. Welche Kunden haben sich vor allem daran beteiligt und worin besteht der Vorteil für die Kunden?

Martin Kramer: Es sind vor allem Betreiber von Windkraftanlagen, aber auch von Biogasanlagen und von PV-Anlagen. Sie erhalten von uns das Komplettsystem EEG-Komfort: wir nehmen ihnen ihre Energie ab und vermarkten sie, dafür bekommen sie von uns einen Bonus. Einzeln erzeugen die Kunden zu wenig Energie, als dass sie diese direkt und effizient an der Börse vermarkten könnten. Das virtuelle Kraftwerk bündelt die Einspeisung einzelner Betreiber und macht sie so marktfähig.

Außerdem können solche Konzepte eine Ergänzung zum nach wie vor notwendigen Ausbau der Stromnetze darstellen.

Die technische Plattform stellt also eine Basis dar, auf der sich verschiedene Geschäftsmodelle wie die Bereitstellung von Regelleistung oder das Bilanzkreismanagement verwirklichen lassen. Welche das in der Praxis sein könnten, hängt nicht zuletzt von den gesetzlichen Rahmenbedingungen ab.

Wie hoch ist der Aufwand für diese Plattform?

Das Know-how liegt vor allem in der Software, also im Energie-Manager. Die Hardware ist dagegen weniger aufwendig. Wir benötigen eine Kommunikationseinheit, die die Daten an unsere Zentrale weiter gibt. Die Steuerung übernimmt ein PC-Server in der jeweiligen Zentrale. Die Verbindung zum Energiemarkt stellenwir über unsere bewährten Prozesse der Datenübertragung und Marktkommunikation her, hier ist der Aufwand überschaubar.

Wie werden die Daten von den einzelnen Einheiten zur Zentrale übertragen?

Wir setzen auf den Mobilfunk. Es hat sich herausgestellt, dass die Kommunikation über Mobilfunk sehr verlässlich funktioniert, auch auf dem Land, wenn es darum geht; Einspeisedaten aus Wasserkraft, Photovoltaik, Windkraft und Biogas einzubinden.

Wie lange hat RWE Deutschland für die Entwicklung dieser Plattform gebraucht?

Die Projektidee haben wir im Jahre 2007 entwickelt. Schon seinerzeit war klar, dass der Anteil dezentral erzeugte Stroms in Deutschland stark steigen würde. Wir wollten daher Methoden entwickeln, um eine Struktur in die dezentrale Erzeugung zu bringen. Die Idee bestand darin, Anlagen zu vernetzen und Geschäftsmodelle daraus abzuleiten. 2008 haben wir mit Siemens einen Kooperationsvertrag geschlossen, um ein Demonstrationsobjekt aufzubauen. Dazu haben wir Windkraftanlagen im Sauerland zu einem virtuellen Kraftwerk verbunden. Parallel dazu haben wir untersucht, wie sich abschaltbare Lasten in der Industrie und von Gewerbeimmobilien einbinden lassen. 2010 haben wir Minutenreserven in unser Modell einbezogen. 2012 hatten wir die technische Plattform weitgehend fertig gestellt, und in diesem Jahr bieten wir mit „EEG Komfort“ das erste Produkt für die Direktvermarktung von Strom aus erneuerbaren Energien an. Wir verfügen also inzwischen über eine umfangreiche Expertise.

RWE hat ja mit großen Erzeuger oder Abnehmer aus der Industrie bisher auch dazu herangezogen, positive oder negative Regelenergie zur Stabilisierung des Netzes zu liefern. Worin liegt gegenüber den bisherigen Systemen die eigentliche Innovation?

Bisher war es so, dass wir den Abruf bei diesen Firmen, beispielsweise einer Aluminiumhütte, manuell getätigt haben. Das war auf dieser Ebene auch kein Problem. Um mit dem Konzept der virtuellen Kraftwerke aber kleinere Kunden einbinden zu können, muss die Steuerung, die Übertragung von Fahrplänen, die Übertragung von Marktsignalen usw.  automatisiert werden. In der vollen Automatisierung liegt die Herausforderung. Im Rahmen der Kooperation mit Siemens sind wir jetzt so weit, in die Kommerzialisierung einsteigen zu können.

Wie hoch muss denn die Mindestmenge an erzeugter elektrischer Energie sein, damit RWE einen Erzeuger ins virtuelle Kraftwerk aufnehmen kann?

Wir haben die Grenze derzeit auf 300 kW elektrisch festgelegt. Liefern die Anlagen weniger Leistung, dann steigt der spezifische Aufwand für Kommunikation und Administration in eine Größenordnung, die wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll ist.

Warum sind bisher keine Betreiber von KWK-Anlagen dabei?

Wir haben uns große KWK-Anlagen in der Industrie, im Gewerbe und auf kommunaler Ebene angesehen. Am attraktivsten für die KWK-Anlagenbetreiber ist es, den Strom selber zu verbrauchen. Also stehen für unsere Vermarktung nur die Randzeiten zur Verfügung, an denen die KWK-Anlagen einen Überschuss erzeugen. Genau dann ist es aber für uns nicht mehr attraktiv, den Strom zu vermarkten.

Nun sind KWKs, Biogasanlagen und Wasserkraftanlagen steuerbar, Windkraftanlagen und Photovoltaik sind aber vom Wetter abhängig. Warum kommt jetzt das Interesse vor allem von Seiten der Betreiber wetterabhängiger Energieanlagen?

Das liegt am Prämienmodell, das seit Anfang des Jahres für diese Erzeuger gilt. Damit können die so erzeugten Energien in die Direktvermarktung gehen, ohne dass der Betreiber ein Risiko eingeht.

Das Ziel müsste doch aber darin bestehen, die Energie bedarfsgerecht einzuspeisen; was wäre dazu erforderlich?

Die Direktvermarktung nach EEG ist nur der erste Schritt, der zweite wäre dann die bedarfsgerechte Einspeisung. Das würde aber voraussetzen, dass solche Anlagen entweder abgeregelt werden könnten, was ja in Ausnahmefällen schon möglich ist, oder dass mehr Speicher vorhanden wären. Sie stehen im großen Maßstab aber noch nicht ausreichend zur Verfügung.

Wie sehen die nächsten Schritte aus?

Zunächst wollen wir unser Angebot erweitern: Zusätzlich zu „EEG Komfort“ werden wir „EEG Chance“ auf den Markt bringen. EEG Chance erlaubt es unseren Kunden, sich am Vermarktungsrisiko zu beteiligen , dafür winken ihnen aber auch höhere Erlöschancen.

Außerdem arbeiten wir daran, auf Basis unserer technischen Plattform weitere Geschäftsmodelle zu entwickeln, beispielsweise Netzdienstleistungen für Verteilnetzbetreiber anzubieten.

Eine weitere wichtige Entwicklungsrichtung besteht darin, künftig auch solche Erzeuger in unsere virtuellen Kraftwerke einzubinden, die unter 300 kW elektrisch pro Jahr liefern. Dazu müssen wir die Kosten für die Kommunikation und die Administration senken.

Wo sehen Sie noch Möglichkeiten, die Kosten zu senken?

Der Preis für die Hardware sinkt, im Bereich der Kommunikationskosten besteht noch Potenzial zur Kostensenkung, das gleiche gilt für die Prozesse, über die wir den Pool betreiben. Wir stehen ja noch am Anfang des kommerziellen Betriebes, und es gibt insgesamt noch viel Potenzial, die Kosten über Optimierungen zu reduzieren. Je mehr sie fallen, umso mehr sinkt die Schwelle, ab der es sich lohnt, Erzeuger ins virtuelle Kraftwerk aufzunehmen. Das wiederum würde die Zahl der möglichen Teilnehmer erhöhen und die virtuellen Kraftwerke würden insgesamt attraktiver.

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