Strom aus der Wüste für Nordafrika und Europa

Desertec: »In zwei Jahren möchten wir Pilotprojekte sehen!«

5. Oktober 2010, 13:14 Uhr | Heinz Arnold
© ABB

Wer die Desertec-Vision umsetzen will, muss schnell handeln. Denn um das europäische Verbundnetz für die Einspeisung aus erneuerbaren Energien fit zum machen, laufen die Planungen.

Prof. Jochen Kreusel, Leiter des Geschäftsbereichs Marketing & Vertrieb Energietechnik von ABB und Mitglied des Präsidiums des VDE, ist überzeugt, dass Dii (Desertec Industrial Initiative) in diesem Szenario eine wichtige Rolle spielen wird.

Energie & Technik: Das europäische Verbundnetz muss schnell ausgebaut werden, um den Strom aus Windkraft, Photovoltaik und anderen fluktuierenden Quellen verlässlich zum Verbraucher transportieren zu können. Spielt in den Planungen das Desertec-Konzept eine Rolle, wird es ernsthaft als eine wichtige Quelle erneuerbarer Energie mit einbezogen?

Prof. Jochen Kreusel: Wer Desertec ernst nimmt, muss das Projekt in die bis mindestens 2050 reichenden Planungen zum Ausbau des europäischen Netzes mit einbeziehen. Das geschieht auch. Wir betrachten erneuerbare Energie aus dem Mittelmeerumfeld als ein Element im europäischen Verbundnetz, das so ausgelegt sein sollte, dass es einen für Europa sinnvollen Teil der in Nordafrika erzeugten Energie in Europa aufnehmen kann.

Wie viel Energie wird Desertec für Europa liefern?

Bei unseren Überlegungen in der Dii, der im Oktober 2009 gegründeten Planungsgesellschaft, gehen wir davon aus, dass bis zu rund 15 Prozent des europäischen Energiebedarfs mit erneuerbarer Energie aus Nordafrika gedeckten werden sollten. Weil die Lieferungen sehr gut prognostizierbar sind, wird  Strom aus der Wüste – anders als Photovoltaik und Windkraft in Nordeuropa – einen gut planbaren Beitrag zum europäischen Energiemix liefern.

Gibt es große technische Probleme zu lösen, bevor Desertec Realität werden könnte?

Die sehe ich nicht, das Desertec-Konzept erfordert keine großen technischen Sprünge. Solarthermie, Photovoltaik und Windenergie werden seit langem, teilweise seit Jahrzehnten eingesetzt. Sicher hat sie noch Kostensenkungspotentiale, aber die Funktion steht außer Zweifel. Auch die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung, die Technologie für die Leistungs-Fernübertragung, wird seit über 50 Jahren genutzt.
Theoretisch könnten wir heute schon alles bauen, was für Desertec erforderlich wäre, und die Kilowattstunde Strom käme einschließlich der Netzkosten auf Dauer immer noch billiger als der von Photovoltaikanlagen auf bayerischen Dächern erzeugte Strom.

Wenn die Technik nicht das Problem ist, welche weiteren Probleme müssen gelöst werden, um das Projekt voran zu bringen?

Wir müssen die Voraussetzungen dazu schaffen, dass die Nordafrikanischen Länder in das europäische Netz einspeisen können. Und wir müssen klären, innerhalb welchen rechtlichen Rahmen ausländische Firmen in den nordafrikanischen Ländern investieren sollen, wie können sie beispielsweise Partnerschaften aufbauen und Lizenzen erwerben?

Warum können solarthermische Kraftwerke nicht in Ländern Südeuropas arbeiten, warum muss Desertec in der Sahara gebaut werden?

Solarthermie braucht Direkteinstrahlung. Um mit hohem Wirkungsgrad arbeiten zu können, sollte die Luft wenig Feuchte enthalten. Und wenn Wolken die Sonne verschatten, liefert Solarthermie im Gegensatz zur Photovoltaik – gar keine Energie. Die Sahara eignet sich deshalb als Standort sehr viel besser, der Unterschied im Dargebot ist zwischen Südeuropa und Afrika so gross, dass die höheren Kosten für den Energietransport voraussichtlich mehr als kompensiert werden.

Was hätten die Staaten in Nordafrika davon, in denen die Kraftwerke gebaut werden?

Das ist ein sehr wichtiger Punkt: Ein Großteil der dort produzierten Energie soll diesen Ländern zugute kommen. Der Energiebedarf der Länder Nordafrikas wird schnell steigen, allein schon wegen des Bevölkerungswachstums. Westeuropa wird dagegen eher stagnieren. Desertec soll vor allem den lokalen Bedarf decken.  

Was gibt es auf europäischer Seite zu tun?

Zuerst einmal freue ich mich, dass es offenbar die Vorbehalte gegenüber der Dii zurückgehen. Immerhin findet Desertec auch im Energiekonzept der Bundesregierung Erwähnung.
Auf der einen Seite haben wir de facto in Europa einen integrierten Strommarkt, andererseits kocht im Bereich der Erneuerbaren Energien jedes Land noch sein eigenes Süppchen. Hier muss dringend harmonisiert werden. Es gibt leider noch keinen einheitlichen europäischen Einspeisetarif oder eine Harmonisierung des Handels in erneuerbaren Energien. Das muss schnell kommen.

Welche konkreten Schritte stehen jetzt an?

Wir müssen relativ schnell Demonstrationsanlagen bauen. Erstens können wir so zeigen, was möglich ist, zweitens lernen wir nur so den Rechtsrahmen wirklich kennen, um daraus für die Zukunft zu lernen. Wir möchten, dass in spätestens zwei Jahren gebaut werden kann.

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die Vision Desertec eine Vision bleibt?

Es kann sein, dass wir irgendwann zu dem Schluss kommen, dass sich das Konzept nicht umsetzen lässt. Wir halten es aber für technisch-wirtschaftlich aussichtsreich und vorteilhaft genug, sich für die Realisierung einzusetzen. Und die Tatsache, dass sich ein Konsortium und viele Partner aus sehr namhaften Industrieunternehmen und einer gemeinnützigen Stiftung intensiv an der Wegbereitung für das Konzept arbeiten, ist meines Erachtens ein deutliches Signal für die Ernsthaftigkeit. Ebenso übrigens wie die Gründung der Initiative Transgreen unter französischer Führung, die wir als erfreuliche Unterstützung der Dii sehen.


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