Zehn Jahre Stillstand

Energiewende auf der Kippe

13. Januar 2022, 10:46 Uhr | Heinz Arnold
Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer des vbw: »Wir müssen festhalten, dass Anspruch und Wirklichkeit bei der Energiewende immer weiter auseinanderklaffen. Jetzt kommt es darauf an, die Energiewende endlich mit Nachdruck umsetzen.«
© vbw

Die Energiewende kostet viel Geld und wackelt. Zwar sei viel diskutiert und geplant worden, »wir müssen jetzt aber endlich in die Umsetzung kommen«, fordert Bertram Brossardt vom vbw.

Er muss es wissen, denn er hat nun bereits zum zehnten Male das Monitoring der Energiewende vorgelegt, den das Prognos Instituts im Auftrag des Verbands der Bayerischen Wirtschaft (vbw) erstellt. Allerdings kann er sich über das Jubiläum nicht so recht freuen, denn die Bilanz ist ernüchternd, im Grunde seien wir über Ankündigungen und Planungen nicht hinausgekommen: »Laut dem neusten Monitoring schneiden wir in einigen Bereichen sogar schlechter ab als im Vorjahr. Während die Umsetzung weiterhin lahmt, wurden die Klimaziele erneut verschärft. Wir müssen festhalten, dass Anspruch und Wirklichkeit bei der Energiewende immer weiter auseinanderklaffen.« 

Die Gesellschaft mitnehmen

Jetzt kommt es vor allem darauf an, die Gesellschaft von der Notwendigkeit vieler einschneidender Maßnahmen zu überzeugen, ohne die sich aus Sicht von Brossardt die Energiewende nicht umsetzen lässt. »Ohne Zumutungen und Eingriffe in die Landschaft wird das allerdings nicht gehen«, räumt er ein. Wie also soll die Überzeugung gelingen? »Durch sichtbare Erfolge, als vbw wollen wir unseren Beitrag dazu leisten, Vertrauen aufzubauen, dass die Energiewende funktioniert.« Und wie können man Vertrauen gewinnen? »Einfach machen!«, lautet seine Antwort. Beispielsweise indem Maßnahmen ergriffen werden, um die Strompreise zu senken: Die EEG-Umlage abzuschaffen und die Energiesteuer zu senken, das wäre schnell zu machen. 

Strompreise zu hoch, Versorgungssicherheit gefährdet

Wobei wir schon mitten in den Problemen wären, in denen die Energiewende laut dem Prognos-Monitoring in Deutschland steckt. Die erwähnten Strompreise sind eines der größten Probleme. Nur in Zypern und Großbritannien muss in Europa mehr für den Strom bezahlt werden. »Von einem Sorgenkind zu sprechen, wäre untertrieben«, so Brossardt. »Das ist einfach nicht akzeptabel.« 

Zudem hapert es an der Versorgungssicherheit, denn der Netzausbau kommt immer noch nicht in Schwung. Mit Blick auf Bayern erklärte Almut Kirchner, Direktorin und Partnerin von Prognos, dass die Thüringer Energiebrücke glücklicherweise funktioniere und Bayern eine stabile Versorgung bringe. Das zeigt, wie wichtig der Netzausbau angesichts der Abschaltung von Kernkraftwerken und von Kraftwerken auf Basis fossiler Brennstoffe für Bayern ist, um an den erneuerbaren Energien in Norddeutschland teilhaben zu können. 

Allerdings sind immer häufiger Eingriffe und Sicherheitsmaßnahmen erforderlich, um das Stromnetz stabil zu halten. Das kostete im Jahr 2020 in Deutschland nicht weniger als 1,4 Mrd. Euro. Auch ein Grund für steigende Strompreise. 

Der Zubau der Erneuerbaren immer noch viel zu gering

Erschwerend kommt hinzu, dass der Zubau erneuerbarer Energien viel zu langsam voranschreitet. »Jede Woche müssten PV-Flächen in der Größe von 100 Fußballfeldern plus zwei Windkraftanalgen ans Netz gehen«, erklärte Brossardt bei der Vorstellung des Monitoring. »Davon sind wir aber weit entfernt, die Aufgabe ist gewaltig!« Es bleibe nur ein Weg: Die Genehmigungsverfahren müssten beschleunigt, die Hürden aus dem Weg zu geräumt werden, die den Zubau derzeit begrenzen. So müsse die 10H-Regel für Windkrafträder, die in Bayern gelte, geändert werden oder am besten ganz entfallen. PV-Anlagen müssten auf jedes Dach, hier könne der Staat vorbildhaft vorangehen. 

Als ob dies nicht schon genug wäre, gibt es weitere Baustellen. Um nur zwei zu nennen: Die fossilen Heizungsanlagen in Altbauten müssen dringend ersetzt werden. Wie Kirchner erläuterte, liege die energetische Sanierungsrate bei geschätzten 1,3 Prozent pro Jahr, sie müsse aber verdoppelt werden, um die Ziele der Energiewende erreichen zu können.  

»Wir müssen europäisch denken!«

Das Monitoring von Prognos erstreckt sich zwar auf Bayern und Deutschland, laut Brossardt dürfe Deutschland aber nicht nur nach innen schauen. Ohne internationale Zusammenarbeit könne die Energiewende in Deutschland nicht gelingen. Ein starker europäischer Strommarkt sei genauso erforderlich wie die internationale Kooperation, um den Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft endlich zu finden. »Wir benötigen den Energieimport, nationale Autarkie wäre viel zu teuer. Wir müssen europäisch denken!«

Doch verzeichnet das Energiemonitoring von Prognos tatsächlich keinerlei positiven Entwicklungen? Immerhin ist der Börsenstrompreis 2020 gefallen. Das gleiche gilt für den Stromverbrauch, der um 2020 um 3 Prozent zurückgegangen ist, der Energieverbrauch insgesamt sogar um 7 Prozent. Leider ist das aber alleine auf den Corona-Effekt zurückzuführen, die Preise lagen im vergangenen Jahr schon wieder höher und werden laut Kirchner in diesem Jahr noch stärker steigen. 

Gibt es gar keinen Lichtblick? Bertram Brossardt sieht als eines der zentralen Elemente der Sicherheit den Leitungszubau an. Bis 2025/26 würden – im besten Falle – die neuen Nord-Südleitungen gebaut sein. Das wäre ein wichtiger Schritt. »Bis dahin müssen wir alles nutzen, was wir haben, in Bayern etwas die Wasserkraft, aber auch Biomasse, Photovoltaik und Speicher.« Jetzt komme eben alles auf die schnelle Umsetzung an. Das wäre schon mal ein Lichtblick. 

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