Geothermie nach dem Gips-Unfall

Geothermie-Schadensfälle sind extreme Ausnahmen

4. November 2014, 14:19 Uhr | Hagen Lang
Unter anderem Anbohren der Gips-Keuper-Schicht in Staufen hat die Geothermie in Verruf gebracht (hier Hebungsrisse in der Altstadt zwischen Rathaus und Rathauscafe), ist aber ein untypischer Ausnahmefall. In Staufen wandelte sich in etwa 100 m Tiefe Anhydrit durch Grundwassereinbruch in Gips um, der ein bis zu 60 Prozent größeres Volumen besitzt und dessen unterirdische Ausdehnung an der Erdoberfläche Schäden verursacht.
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Mikroerdbeben und Bauschäden im zweistelligen Millionenbereich im badischen Staufen haben die Geothermie in Verruf gebraucht. Wie eine Untersuchung des Fraunhofer KIT zeigt, handelt es sich dabei um extreme Ausnahmen, die vollständig vermieden werden können.

Medial aufgebauschte Schadensfälle haben die Zustimmung zur Geothermie bröckeln lassen, ohne Grund, wie eine Untersuchung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) zeigt. Die rechnerische Wahrscheinlichkeit, dass ein Schadensfall eintritt, liegt in Baden-Württemberg bei weniger als 0,002 Prozent pro Jahr. Mehr als 30.000 in Baden-Württemberg oberflächennah installierte Erdwärmesonden arbeiten praktisch 100 Prozent problemfrei. Im Vergleich ist die rechnerische Wahrscheinlichkeit pro Jahr an Luftverschmutzung aus Kohlekraftwerken zu sterben höher, sie liegt bei 0,003 Prozent.

Die KIT-Wissenschaftler haben neun Schadensfälle durch Erdwärmebohrungen in Baden-Württemberg qualitativ und quantitativ untersucht, darunter auch die Ereignisse in Staufen im Breisgau, Rudersberg, Schorndorf und Leonberg. In fast allen Fällen sind Grundwasserleiter durch auf- oder absteigende Wässer miteinander verbunden worden. Die Ursache lag dabei in einer unvollständigen, undichten Hinterfüllung der Erdwärmesonden. Die Hinterfüllung des Hohlraums zwischen Bohrlochwand und Rohren ist ein wichtiger Beitrag für den Grundwasserschutz.

In fast 70 Prozent der Fälle lag die Schadensursache außerdem darin, dass die Bohrung eine hydraulische Verbindung zwischen den Gesteinseinheiten Keuper und Muschelkalk geschaffen hatte. »Eine erste Einschätzung hat ergeben, dass sich die Wahrscheinlichkeit eines Schadenfalls mit dem Erreichen der Grenze zwischen Keuper und dem darunter liegenden Muschelkalk um das 40-Fache erhöht«, berichtet Professor Philipp Blum vom AGW des KIT. In solchen Fällen kann sich bei Wasserzutritt eventuell anstehender Anhydrit in Gips umwandeln. Dabei nimmt das Gestein erheblich an Volumen zu, was zu Geländehebungen und zu Rissen in Gebäuden wie in Staufen oder Böblingen führen kann.

Dass die geologisch sehr heterogene Fälle grundsätzlich beherrschbar sind, zeigen rund 820 Erdwärmesondenanlagen in Baden-Württemberg, die die Grenze zwischen Keuper und Muschelkalk erreicht haben. Maßnahmen zur Qualitätssicherung geben die in Baden-Württemberg 2011 veröffentlichten »Leitlinien Qualitätssicherung Erdwärmesonde« (LQS EWS) vor. Sie betreffen unter anderem die Hinterfüllung oder das Vorgehen bei unter Druck stehenden Grundwasserleitern. Anpassungen des Sondendesigns, beispielsweise Koaxialsonden, können zusätzlich helfen, Fehlstellungen beim Einbringen der Hinterfüllung zu vermeiden. Bei allen bisher bekannten Schadensfällen wurden die Sonden noch vor Erscheinen der LQS EWS installiert.

Dank der Analyse sind zielgerichtet Kriterien zur Qualitätssicherung formulierbar. »Es ist wichtig, eine für die Durchsetzung der Energiewende bedeutende Technologie weiterzuentwickeln und dabei eine umfassende Betrachtung mit Hinterfüllung und Monitoring vorzunehmen« erklärt Professor Thomas Kohl vom AGW. So beziehen sich laufende und geplante Arbeiten am KIT, die mit Unterstützung des Umweltministeriums in Stuttgart vorgenommen werden, auf die Anlagenkontrolle und Behebung möglicher Schäden im Untergrund. »Es besteht ein Bedarf an weiteren Forschungsprojekten zur Qualitätssicherung, um Schäden künftig noch wirksamer zu verhindern«, berichtet Professorin Ingrid Stober, ebenfalls vom AGW. »Zusätzliche Maßnahmen wie eine regionale Tiefenbeschränkung der Bohrungen würde das Risikio ebenfalls minimieren, würden letztlich jedoch zu einer geringeren Effizienz führen, da dann mehrere kürzere Sonden installiert werden müssen«, ergänzt Professor Philipp Blum.


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