Der Planungsmechanismus zum Netzausbau fehlt noch

Netzausbau: Auf die langfristige Gestaltung kommt es an

7. Dezember 2010, 9:13 Uhr | Heinz Arnold
Prof. Jochen Kreusel: »Es hat sehr schnell ein tief greifender Bewusstseinswandel in der Bevölkerung eingesetzt, die meisten sind überzeugt, dass im Interesse der Erneuerbaren Energien neue Stromleitungen erforderlich sind, das stimmt mich optimistisch, dass wir die Probleme lösen können.«
© ABB

Wer den Netzausbau vorantreiben will, der muss auf die Anliegen der betroffenen Anwohner eingehen. Nur immer auf möglichst geringe Baukosten für ein bestimmtes Projekt zu sehen, könne mittel- und langfristig teuer kommen.

Das meint Prof. Jochen Kreusel aus der Geschäftsbereichsleitung Marketing und Vertrieb Energietechnik von ABB. Die Regulierer müssten die Möglichkeit bekommen, auch die technischen Aspekte des Netzausbaus mit zu berücksichtigen, um langfristig gestalten zu können.

Energie & Technik: Die Dena-I-Studie hatte den Bau von 850 km neuer Höchstspannungs-Stromleitungen angemahnt, 90 km sind bis heute gebaut. Wenn man das auf die jetzt ins Spiel gebrachten 3.600 km hochrechnet, müsste man Jahrhunderte auf die Vollendung warten. Ist die Annahme, bis 2020 auch nur einen Bruchteil davon realisiert zu haben, nicht etwas unrealistisch?

Prof. Jochen Kreusel: Ich bin aus mehreren Gründen ganz optimistisch, dass es gelingt. Der Bau einer neuen Trasse dauert bei weitem nicht so lange, wie die Darstellung suggeriert. Wirklich viel Zeit nehmen die Genehmigungsverfahren in Anspruch. Dass viele der Projekte von 2005 im Genehmigungsverfahren schon weit fortgeschritten sind, bleibt nach außen bisher unsichtbar. Aber ich schätze, dass bis 2015 schon ein nennenswerter Teil der anvisierten Strecken realisiert sein wird.

Außerdem hat sich seit 2005 sehr viel getan. Damals startete die Diskussion um den Netzausbau und heute sind praktisch alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen – auch die Umweltschutzverbände – davon überzeugt, dass Erneuerbare Energien oft verbrauchsfern und damit das Gegenteil von dezentral sind, und befürworten deshalb den Bau neuer Stromleitungen – im Interesse der Erneuerbaren Energien. Da hat sehr schnell ein tief greifender Bewusstseinswandel eingesetzt und das lässt mich hoffen, dass wir die Probleme lösen können.

Die Politik hatte reagiert und das Energieleitungsausbaugesetz verabschiedet (EnLAG). Wird das dem Ausbau helfen?

Es ist auf jeden Fall ein erster Schritt in die richtige Richtung. Allerdings bezieht sich das EnLAG auf die in der Dena-I-Studie angesprochenen Projekte. Denen wurde damit geholfen. Allerdings gibt es noch keinen Prozess, wie künftig als notwendig erachtete Projekte als notwendig eingestuft werden können.

Wer aber mit einer neuen Leitung in die Nähe seines Grundstücks rechnen muss, der wird zumeist alle rechtlich zur Verfügung stehenden Mittel ergreifen, um den Bau zu verhindern. So entstehen unzählige Bürgerinitiativen, die sich gegen den Netzausbau wehren…

Das sollte man nicht weg diskutieren: Die Betroffenen stehen vor wirklichen Problemen, etwa wenn der Wert ihres Grundstückes sinkt. Infrastrukturprojekte sind in diesem Sinne immer ungerecht, denn den einen trifft es mehr als den anderen.

Deshalb dürfen wir das Problem auf dem Sektor des Transports der elektrischen Energie nicht wie bisher ausschließlich unter dem Kostenaspekt betrachten. Autobahnen und Gleise für Züge werden häufig aufwändig mit Schallschutz versehen oder gleich unter die Erde gelegt, so dass die Projekte Akzeptanz bei der Bevölkerung finden. Das ist oft sehr teuer.

Aber wenn die Auswirkungen einer Freileitung durch ähnliche Maßnahmen für die Anwohner abgemildert werden soll und das dann auch nur um den Faktor 2 mehr kosten soll, dann schrillen heute schon die Alarmglocken. Das muss sich ändern, wenn wir den Netzausbau wirklich voran bringen wollen. Aber ich denke, dass auch auf dieser Ebene der Meinungsbildungsprozess sehr schnell voran schreitet.

Wer setzt die Rahmenbedingungen für den Ausbau?

Es gibt leider noch keinen Mechanismus, der die Erkenntnisse der Dena-II-Studie in einen gesetzlichen Rahmen einbindet. Niemand ist derzeit dafür zuständig, einen solchen Planungsprozess zu installieren.
Die Regulierer müssten künftig auch technisch gestalten. Bisher stehen die reinen Kostenaspekte im Mittelpunkt und zwar für jedes einzelne Projekt.

Allerdings ist mittel- und langfristig gesehen das jetzt gerade billigste nicht das günstigste. Im Moment muss aber projektbezogen entschieden werden, das kann auch die BNA nicht ändern. Deshalb ist die Politik gefordert, die BNA in diesen Fragen mit mehr Flexibilität auszustatten.


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