Was war, was wird

Umweltminister a.D. Klaus Töpfer zieht Bilanz

14. Oktober 2013, 10:10 Uhr | Hagen Lang
Sein Resümee über die deutsche Umweltpolitik fällt positiv aus: Umweltminister a.D. Prof. Dr. Klaus Töpfer in München
© Kyocera Document Solutions Deutschland GmbH

Am Rande des Vorbereitungstreffens für den Kyocera-Umweltpreis in München trafen wir Prof. Dr. Klaus Töpfer, der den Vorsitz der Jury innehat. Kurz vor seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag zog er Bilanz über 25 Jahre Umweltpolitik sowie Leistungen und Chancen des deutschen politischen und wirtschaftlichen Systems.

Energie+Technik: Herr Töpfer, Sie haben das Thema Ökologie vor Jahrzehnten mit auf die politische Tagesordnung gebracht. Wenn Sie einmal Revue passieren lassen, was Sie sich damals gewünscht haben: Wo steht das Thema Ökologie heute, auch in Konkurrenz zu »alten« Themen wie wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und sichere Arbeitsplätze?

Klaus Töpfer: Diese alten Themen sind immer wieder ganz aktuelle Themen. Gehen Sie einmal mit mir nach Griechenland oder nach Spanien, wo Sie Jugendarbeitslosigkeiten von 30 Prozent und mehr haben, dann wissen Sie, dass das kein altes Thema ist, sondern dass das die Menschen unendlich, ganz existentiell, betrifft und dass man sich darüber Gedanken machen muss, wie man die Einkommensverteilung in der Welt gestaltet: Wie ist es möglich, dass wir wirtschaftliche Probleme bewältigen, ohne dass junge Menschen in ein Leben hineinwachsen, in dem sie dann keine Perspektive haben. Das ist ein Teil von Nachhaltigkeit.

Nachhaltigkeit ist nicht nur Ökologie. Nachhaltigkeit ist auch die soziale Stabilität einer Gesellschaft, Nachhaltigkeit ist auch wirtschaftliche Stabilität. Von daher gesehen bin ich schon der Meinung, dass diese von Ihnen formulierten »alten Themen« sehr, sehr relevant sind und noch weiter sein müssen. Ich habe acht Jahre lang in Afrika gelebt, und da sind dies wirklich die ganz aktuellen Themen, und zwar in massiver Form: »Wie kriegen wir Jobs? Wie können wir »Poverty«, also Armut überwinden?« - das dazu.
Zum Zweiten ist es erfreulich, dass immer mehr Menschen so ein ungutes, na ja, unzufriedenes Gefühl haben: »Tanzen wir hier nicht auf dem Vulkan? Ist es nicht so, dass wir irgendwann von Konsequenzen erreicht werden, die wir jetzt ausblenden?« Dass immer mehr auch sehr selbstkritisch dabei werden, das halte ich für einen guten Reinigungsprozess des Denkens. Denn nur wenn es aus der Breite der Bevölkerung Veränderungen gibt, werden wir sie auch politisch umsetzen können. Hier glaube ich, ist in den letzten Jahren sehr viel passiert. Wenn ich mir überlege, was wir damals für Diskussionen führten, um eine Veränderung etwa der Flurbereinigung zu erreichen, und wie das heutzutage ganz selbstverständlich geworden ist, da kann ich nicht sagen, es wäre nichts vorangekommen.

Das heißt nicht, dass ich sage: Alles ist paletti. Nein, natürlich gibt es noch viele neue Fragen, die wir damals gar nicht gesehen haben und die jetzt von größter Relevanz geworden sind, gerade auch in der internationalen Komponente, die wir mit ausgelöst haben. Wir importieren 80 Millionen Hektar Fläche, indem wir die Produkte von diesen Flächen etwa in Form von Kraftfutter aus Südamerika einkaufen. Alles das zeigt Ihnen: Nicht die Selbstzufriedenheit ist angesagt, sondern die realistische Bestandsaufnahme und der Hinweis darauf, dass es doch gelungen ist, in dieser Bevölkerung in Deutschland ein Thema so breit zu verankern, dass die Menschen offen sind für Argumente. Dass sie an vielen Stellen sehr hitzig darüber sprechen, ist nicht zu beklagen, sondern das ist erfreulich.

Helmut Kohl hat einmal formuliert, es gelte, die Schöpfung zu bewahren*, inwieweit spielt dieser Beweggrund für Sie als Umweltpolitiker eine Rolle, zumal Sie auch bis zu einem gewissen Grad aus der katholischen Soziallehre kommen.

Das war der entscheidende Ansatzpunkt zu einer Zeit, als man von Umweltpolitik noch gar nicht sprach. Ich bin als Staatssekretär für Umwelt in Rheinland-Pfalz einmal eingestellt worden, da war ich die vierte Wahl, wenn Sie so wollen. Drei andere hatte man vorher gefragt, die hatten mit mehr oder weniger großem Entsetzen abgelehnt. Es ist ein neues Politikfeld geworden, auch deswegen, weil wir gemerkt haben, dass die negativen Konsequenzen von wirtschaftlichem Wachstum den Wohlstandsgewinn, der damit verbunden ist, wieder in Frage stellen. Ich habe es bis zum heutigen Tag für absolut notwendig erachtet, dass wir wissen: Eine in meinem Sinne konservative Partei hat alles daran zu setzen, die Umwelt zu erhalten. Nicht weil sie uns dienstbar ist, sondern weil sie Teil von Gottes Schöpfung ist. So einfach muss man das auch mal sagen dürfen, und für mich ist das ganz zentral.

Und nebenbei, das ist ja nicht nur ein christlicher Ansatz. Gehen Sie mal die Weltreligionen durch und schauen Sie sich an, welchen Respekt man dort vor »Schöpfung« in der Breite hat. Im Paulusbrief, um noch einmal auf das Christentum zurückzukommen, steht: Die Schöpfung harrt der Erlösung, nicht nur der Mensch. Also diese Überlegungen haben mich dazu gebracht, mich mit Umwelt zu beschäftigen. Es hat sich hinterher gänzlich anders ausgemendelt, das ist wahr, aber wenn man 75 ist, wie ich es in wenigen Tagen bin, muss man auch mal sagen: Da hast du etwas für dich dazugelernt.

China bestimmt seit einiger Zeit die Agenda. Sie kennen es gut, Sie sind dort Professor. Kann eine privatwirtschaftlich organisierte Bundesrepublik gegenüber einem merkantilistischen China mit Fünfjahresplänen auf Dauer bestehen, wenn es sich nicht ähnlicher Mittel bedienen will?

Für mich wird umgekehrt ein Schuh daraus: Gerade weil wir diese offene Gesellschaft haben, sind wir auch in der Lage, das, was geworden ist, kritisch zu betrachten, dagegen zu sein und aus diesem Dagegensein neue Verhaltensweisen, neue Techniken zu gewinnen.

Ich werde immer wieder gefragt: Sind wir nicht so etwas wie die »Dagegen-Republik«? Da kann ich nur sagen: Gott sei Dank sind wir es. Ich möchte nicht in einer »Dafür-Republik« leben. Aus dem Dagegen kommt ja die Auseinandersetzung um den richtigen Weg, kommt die Frage: »Kann man das nicht auch anders machen?« Von daher bin ich überhaupt nicht der Meinung, man könne nur in einem Top-down-gehenden Befehlsstrang handeln.

Gehen Sie einmal davon aus: Gerade weil ich so lange in China tätig bin, sehe ich dort auch eine nicht unerhebliche und sehr bedeutsame Veränderung. Zu glauben, dass dort mit zunehmendem Wohlstand nicht auch Änderungen in dem Bereich des Mitwirkens der Gesellschaft angemahnt werden, das wäre wirklich ein Fehler, und ich freue mich, dass das bestätigt: Auch und gerade bei solchen existentiellen Fragen ist und bleibt eine offene Demokratie mit breitem, kritischen Potential und umfassender öffentlicher Begleitung in den Medien der Garant dafür, dass wir große Fehler vermeiden.

Herr Professor Töpfer, danke für das Gespräch.

* »Die Schöpfung Bewahren - die Zukunft gewinnen« war der Titel der Regierungserklärung, die Helmut Kohl nach der gewonnenen Bundestagswahl 1987 abgab.


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