Energiewendestrategien

»Der Markt für Flexibilität wird mittelfristig wachsen«

3. September 2015, 16:38 Uhr | Hagen Lang
Dr. Matthias von Bechtolsheim ist Partner in der Energy & Utilities Practice bei der Strategie- und Innovationsberatung Arthur D. Little
© Arthur D. Little

Im Interview erklärt Dr. Matthias Bechtolsheim, Partner in der Energy & Utilities Practice bei Arthur D. Little, warum bei einem Überangebot von Strom dessen Verkauf die beste Lösung ist, die Flexibilisierung von Lasten und »Power-to-Heat« künftig Schlüsselthemen und Stromspeicher kein Allheilmittel sind.

Herr Dr. von Bechtolsheim, wie wird sich der Markt für Energiespeicher mittel- bis langfristig entwickeln?

Ein großes Problem ist, dass im Zusammenhang mit Erneuerbaren Energien immer von der Notwendigkeit für Speicher gesprochen wird. Gemeint und notwendig ist jedoch Flexibilität – man darf allerdings nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Flexibilität im Verteilnetz ist eine andere Fragestellung als im Höchstspannungsnetz. Hinzu kommt, dass die Geschwindigkeit der Bereitstellung ebenso wichtig ist, wie die Dauer des Flexibilitätsbedarfs – Speicher stellen hier nur eine Option dar. Um also auf Ihre Frage zurück zu kommen: Der Markt für Flexibilität, sprich Angebot und Nachfrage von positivem bzw. negativem Strombedarf, wird vor dem Hintergrund der Energiewende mittelfristig wachsen. Das ergibt sich zwangsläufig aus den Klimazielen und den Erneuerbare-Ausbauplänen der EU bzw. der Bundesregierung.

Wie schätzen Sie das Potenzial sogenannter »Schwarmspeicher« aus vernetzten Speichern in Privathaushalten, leer stehenden aber infrastrukturell günstigen Gebäuden ein. Könnten diese eine Alternative sein?

Batteriespeicher für Solarstrom sind bei Hauseigentümern populär, weil man mit diesen gegenüber dem Netzstrom sparen kann. Volkswirtschaftlich gesehen ist das aber eine Milchmädchenrechnung, denn die Kosten für die Netze werden insgesamt nicht sinken. Das Netz muss als »Backup« immer verfügbar sein, wenn die Sonne nicht scheint und die Batterien leer sind. Aufgrund der begrenzten Zahl von Batterieladezyklen sind Schwarmspeicher zudem eine teure Lösung.

Könnten Batteriespeicher Pumpspeicherkraftwerke ersetzen?

Batterien haben den Vorteil der kurzfristigen Strombereitstellung, sind aber im Vergleich zu Pumpspeichern sehr teuer. Die Speicherkapazität des größten deutschen Pumpspeicherwerks Goldisthal mit Baukosten von ca. 600 Mio. EUR würde heute als Lithium-Ion-Batterie ca. 24 Mrd. EUR kosten, also 40 mal so viel. Daher wird man Batterien immer dort einsetzen, wo temporär kein Netz verfügbar ist, also zum Beispiel für die Notstromversorgung, »Inselnetze« und entlegene Mobilfunkstationen.

Einige Experten sind der Meinung, der Speichereinsatz im Niederspannungsbereich könnte mittelfristig effizienter als der Netzausbau sein. Wie schätzen Sie dies ein? Würde das auch bei einem wachsenden Anteil der Erneuerbaren so bleiben?

Neben den Kosten spricht auch die viel kürzere Lebensdauer gegen Speicher im Niederspannungsbereich als langfristige Lösung. Ein Kupferkabel hält quasi ewig, ein Transformator mindestens 50 Jahre. Kurzfristig kann ein Stromspeicher im Verteilnetz allerdings eine Lösung sein.

Energiespeicher stellen nur eine Option im Portfolio der Flexibilitätstechnologien dar. Welche Technologien könnten in Zukunft ebenfalls vielversprechend sein?

Es gibt eine Vielfalt von Möglichkeiten, Flexibilität bereitzustellen. Eine davon sind Stromspeicher, welche im Vergleich aber sehr kapitalintensiv sind. Weitere Hemmnisse sind bei einigen Technologien signifikante Wirkungsgradverluste, wie wir sie von Power-to-Gas-Anlagen kennen. Da jede Energieumwandlung mit Verlusten einhergeht, sollte man sie wenn möglich vermeiden. Bei einem Überangebot von Strom ist es zunächst kostengünstiger, den Überschussstrom an andere Verbraucher, z.B. ins Ausland, zu verkaufen.

Als nächstes kommt die Lastverschiebung in Frage, z.B. durch die Nutzung »träger« Lasten – das können z.B. Kühlhäuser oder Schmelzöfen sein. Von großer Bedeutung wird auch „Power-to-Heat« sein, also die Aufheizung und Speicherung von Wasser, beispielweise für bestehende Fernwärmenetze, weil die Kapitalkosten dort vergleichsweise gering sind und darüber hinaus noch Gas eingespart wird.

Für den Fall des fehlenden Stromangebots (»wind- und sonnenarme Wintertage«) sind, sofern der Strom nicht aus dem Ausland bezogen werden kann, vorhandene Heizkraftwerke oder Gasturbinen-Kraftwerke die günstigste Form der Flexibilität. Batterien eignen sich vor allem für sehr kurzfristige und zwingend netzunabhängige Strombereitstellung wie die kurzzeitige Notstromversorgung in einem Rechenzentrum.

Welche weiteren Trends sehen Sie im Bereich der Energiespeicher?

Das Thema Wärme bzw. Kälte kommt in der Diskussion meines Erachtens bislang zu kurz. Power-to-Heat/Cold sind reife und kostengünstige Technologien (Heizstab, Wärmepumpe, Kompressor), um mit Stromüberschüssen umzugehen. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von etablierten Wärme- und Kältespeichern.

 

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