Moderne Safety-Technik für funktionale Sicherheit ist auch in Windkraftanlagen ein Muss

Windkraft – ja, aber sicher!

12. August 2010, 15:03 Uhr | Andreas Knoll
© Pilz

Weil Windkraftanlagen ebenso wie Produktionsmaschinen unter die EU-Maschinenrichtlinie fallen, müssen sie mit entsprechender Safety-Technik ausgestattet sein, die im Störungsfall Sicherheit für Mensch und Tier sowie Material gewährleistet. Sándor Kaufmann, in der Abteilung Sales International von Pilz für die Windenergie-Branche zuständig, erläutert, wie Safety-Systeme für Windkraftanlagen aufgebaut sind, welche Aufgaben sie erfüllen, welchen Anforderungen sie entsprechen müssen und welche Trends sich bei ihnen zeigen.

Energie&Technik: Wie sind Sicherheitssysteme für Windkraftanlagen aufgebaut, und welche Systemkomponenten umfassen sie?

Sándor Kaufmann: Wie eine Sicherheitslösung für Windkraftanlagen aufgebaut ist, lässt sich an der von Pilz angebotenen zeigen: Sie ist modular, in sich redundant und mit internen Testfunktionen ausgestattet. Die Handhabung ist einfach – alle Sicherheitsfunktionen werden mittels eines leicht bedienbaren Konfigurations-Tools am PC erstellt. Änderungen auch an bestehenden Applikationen lassen sich auf diese Weise flexibel durchführen. Mehrere Passwortebenen verhindern einen ungewollten Zugriff. Des Weiteren bietet das Sicherheitssystem umfangreiche Diagnosefunktionen und ist für den Einsatz im erweiterten Temperaturbereich ausgelegt.

Lassen sich für Sicherheitssysteme in Windkraftanlagen diejenigen Systemkomponenten nutzen, die auch für Sicherheitssysteme in Maschinen genutzt werden?

Ja, aber mit Einschränkungen. Das Umfeld von Produktionsmaschinen ist in den meisten Fällen kontrolliert bzw. kontrollierbar. Windkraftanlagen dagegen stehen in der Natur und sind den Wetterbedingungen ausgesetzt, was bei ihrer Konstruktion und bei der Auswahl der eingesetzten Materialien zu berücksichtigen ist. Gleiches gilt auch für Bauteile wie etwa Elektronikkomponenten: Sie sind gesondert zu schützen, vor allem wenn bei Offshore-Applikationen noch aggressive Meeresluft ins Spiel kommt. Nicht selten bestimmen Hersteller von Windkraftanlagen Temperaturbereiche von –30 bis +70 °C in ihren Anforderungen. Besondere Beachtung verlangt auch die Schwingungsresistenz.

Als Kommunikationsnetze für die Steuerungs- und Sicherheitstechnik kommen aufgrund der Bauhöhen und der langen Kabelwege zwischen Gondel und Turmfuß oft Lichtwellenleiter zum Einsatz.

Hat Pilz alle nötigen Systemkomponenten selbst im Portfolio oder nutzt das Unternehmen für seine Sicherheitslösungen in Windkraftanlagen auch Systemkomponenten von Drittherstellern?

Pilz bietet ein umfangreiches Portfolio von Sicherheitslösungen für Windkraftanlagen; alle dafür nötigen Komponenten sind im Haus. Das umfassende Know-how des Unternehmens in Sachen Maschinensicherheit steht darüber hinaus in Form von Dienstleistungen zur Verfügung. Auch darauf greifen Hersteller von Windkraftanlagen zurück.

Welche Aufgaben und Funktionen erfüllen Sicherheitssysteme für Windkraftanlagen?

Sicherheitssysteme gewährleisten, dass die Windkraftanlage besonders bei einem Versagen der Betriebsführung oder von einzelnen Komponenten in einen für Mensch und Material sicheren Zustand übergeht. Das kann zum Beispiel bedeuten, die Drehzahl des Rotors zu reduzieren, alle Bewegungen zu unterbinden oder diejenigen Spannungen abzuschalten, die nicht für die Sicherheitsfunktion notwendig sind.

Bisherige Sicherheitslösungen in Windkraftanlagen beruhen auf einer simplen Reihenschaltung von Sicherheitssignalen. Die Reaktion ist dann logischerweise immer identisch, und die Windkraftanlage wird im Falle eines Falles hart gestoppt. Die mechanische Konstruktion muss diesen Betriebsbedingungen gerecht werden. Die Sicherheitslösung von Pilz dagegen ermöglicht es, differenziert auf unterschiedliche Betriebsfälle bzw. Signale beispielsweise von Not-Halt, Vibrationsschalter und Grenzwertrelais für Drehzahl, Position und Druck zu reagieren. Diese selektive Reaktion auf Störungssituationen verringert Kräfte und Drehmomente überall dort, wo sie als Extrem- und Dauerlasten auftreten und übertragen werden. Auf diese Weise lässt sich eine deutliche Auslegungsreserve für Bauteile der Gondel und des Turms erreichen.

Ferner können mehrere Not-Halt-Taster, der Hauptschalter für Niederspannung so- wie der Öldruck- und Hermetikschutz für den Mittelspannungstransformator überwacht werden. Hinzu kommt die Überwachung zahlreicher Grenzwerte hinsichtlich Wirkleistung, Vibration, Generatordrehzahl und Rotordrehzahl sowie der Azimutposition im und gegen den Uhrzeigersinn (Leitungsverdrillung). Zudem lassen sich auch Signale der Brandmeldeanlage auswerten.

Gilt die neue EU-Maschinenrichtlinie auch für Windkraftanlagen uneingeschränkt? Inwieweit gelten dementsprechend die Safety-Normen EN ISO 13849-1 und EN/IEC 62061?

Per Definition handelt es sich bei einer Windkraftanlage um eine funktionsfähige Maschine, die in den Geltungsbereich der EU-Maschinenrichtlinie fällt und für die eine Konformitätserklärung gemäß Anhang IIA ausgestellt werden muss. Auch die EN ISO 13849-1 und die EN/IEC 62061 gelten als unter der Maschinenrichtlinie harmonisierte Normen. Mit dem CE-Zeichen bestätigt der Hersteller die Konformität der Maschine mit den betreffenden EU-Richtlinien und die Durchführung aller für die Maschine vorgeschriebenen Konformitätsbewertungsverfahren. Im Hinblick auf die sicherheitstechnischen Anforderungen an Windkraftanlagen ist die mehrteilige EN 61400 eine grundlegende Norm, die im Teil 1 entsprechende Aussagen trifft. Auch die Richtlinie der Germanischen Lloyd Windenergie GmbH für die Zertifizierung von Windkraftanlagen macht Angaben zu den funktionellen Anforderungen an das Sicherheitssystem in punkto Redundanz und Zuverlässigkeit.

PSS 4000 von Pilz
Die Steuerungen des Automatisierungssystems PSS 4000 von Pilz können künftig auch als Lösung für die komplette Automatisierung einer Windkraftanlage dienen.
© Pilz

Welchem SIL nach EN/IEC 62061 bzw. PL nach EN ISO 13849-1 entsprechen die Sicherheitssysteme von Pilz für Windkraftanlagen?

Das Sicherheitssystem für Windkraftanlagen ist ein der Betriebsführung logisch übergeordnetes und davon konzeptionell unabhängiges System.

Nach Anhang I der Maschinenrichtlinie ist der Hersteller einer Maschine vor deren Bau verpflichtet, mit einer Risikoanalyse zu beginnen, die alle mit der Maschine verbundenen Gefahren und Risiken ermittelt und bewertet. Bei von Pilz umgesetzten Projekten wurde für Windkraftanlagen beispielsweise PL d nach EN ISO 13849-1 bzw. SIL CL 2 nach EN/IEC 62061 bestimmt.

Bei der Untersuchung ist das unterschiedlich hohe Gefahrenpotenzial für Wartungsund Servicepersonal einerseits sowie für Landwirte, Wanderer und Tiere andererseits zu berücksichtigen. Eine Sicherheitslösung für Windkraftanlagen auf Basis des konfigurierbaren Steuerungssystems »PNOZ multi« beispielsweise erfüllt die Anforderungen von PL e bzw. SIL CL 3.

Über welche Bussysteme erfolgt die sichere Übertragung von Daten und Steuersignalen in Windkraftanlagen?

Unsere Sicherheitslösung für Windkraftanlagen lässt sich mit sicheren Ethernet Systemen ebenso betreiben wie mit unserem sicheren Feldbussystem SafetyBUS p. Des Weiteren ist es möglich, sie an alle Standard-Bussysteme anzubinden. Pilz folgt in dieser Hinsicht einer Philosophie der Offenheit.

Die Steuerungen des Automatisierungssystems PSS 4000 können künftig auch als Lösung für die komplette Automatisierung einer Windkraftanlage dienen. Hier erfolgt die Kommunikation über das Ethernet-System SafetyNET p, das sowohl sichere als auch nicht sichere Daten überträgt. Unabhängig vom eingesetzten Bus- bzw. Ethernet-System kommen in Windkraftanlagen, wie bereits erwähnt, verstärkt Kommunikationsnetze auf Lichtwellenleiter- Basis zum Einsatz.

Welche Trends zeigen sich derzeit bei Sicherheitssystemen für Windkraftanlagen? Welche sind in absehbarer Zukunft zu erwarten?

Am Markt wurde erkannt und verstanden, dass es sich bei Windkraftanlagen um Maschinen nach der EU-Maschinenrichtlinie handelt und somit entsprechende Sicherheitsanforderungen zu erfüllen sind. Weil Sicherheitslösungen nicht standardisiert sind, lassen sich Markttrends schwer abschätzen.

In Europa ist der Sicherheitsstandard sehr hoch – hier werden komplexe Sicherheitslösungen in Windkraftanlagen zum Schutz von Mensch und Maschine eingesetzt. In China dagegen, dem derzeit größten Markt, ist der Sicherheitsstandard noch relativ niedrig, so dass dort weniger komplexe Sicherheitslösungen zum Einsatz kommen. Allerdings werden für den Export bestimmte Anlagen auch dort an den uns bekannten Richtlinien ausgerichtet. Allgemein gesprochen lässt die überaus positive Marktentwicklung der Windenergie-Branche auch auf eine günstige Zukunftsperspektive für das Segment der Sicherheitslösungen für Windkraftanlagen schließen.

Welchen Marktanteil hat Pilz derzeit bei Sicherheitssystemen für Windkraftanlagen?

Pilz ist Experte für sichere Automatisierung. Viele Hersteller von Windkraftanlagen vertrauen auf dieses Know-how und setzen die Sicherheitslösungen des Unternehmens ein. Eine Marktbetrachtung des Segments »Sicherheitssysteme in Windkraftanlagen « wird jedoch von Marktforschungsinstituten wie BTMconsult nicht geliefert. Aussagen über Marktanteile in diesem Segment wären somit reine Spekulation.

Wie hat sich der Markt für Sicherheitssysteme für Windkraftanlagen in den vergangenen Jahren entwickelt? Welche Entwicklung erwarten Sie für das laufende Jahr und die kommenden Jahre?

Weil auch hierzu keine entsprechende Marktbetrachtung der Marktforschungsinstitute vorliegt, lässt sich die Frage nur aus unserer eigenen Sicht beantworten. Der Markt für Sicherheitssysteme (sofern als solcher definiert) ist natürlich eng an die Gesamtentwicklung der Branche gekoppelt. Die Windenergie ist seit vielen Jahren eine der Wachstumsbrachen überhaupt und wartet mit zweistelligen Wachstumsraten auf. Pilz hat auf diesen Trend reagiert und seine Marktposition weiter ausgebaut. Unsere Kunden in der Windenergie-Industrie haben die Wirtschaftskrise stabil überstanden. Ausgelöst durch die Finanzkrise gab es jedoch regional ein gedämpftes Wachstum.

Sehr positiv entwickeln sich die Märkte in China und Indien. Wir erwarten, dass der nordamerikanische Markt wieder an Fahrt gewinnt, sobald die Politik verbindliche und langfristige Aussagen über den Energiemix macht. Neue Wachstumspotenziale ergeben sich auch durch die Errichtung von Offshore-Windkraftanlagen auf hoher See.


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