CO2 kennt jeder, SF6 kaum einer. Doch findet SF6 in Schaltanlagen Einsatz, die wegen der Energiewende in stark steigender Zahl im Verteilnetz verbaut werden müssen – um dann deren Ziele durch die Hintertür unerreichbar zu machen.
Die Zahl der Mittelspannungsanlagen wird in Zukunft stark steigen. Denn im Zuge der Energiewende gewinnt die Sektorkopplung sehr stark an Bedeutung, also die Elektrifizierung verschiedener Sektoren wie Wärme und Verkehr und ihre Einbindung ins Stromverteilnetz. Zudem ist im aktuellen Konjunkturpaket der Bundesregierung unter anderem festgeschrieben, dass es keine Kappung der PV-Einspeisung geben wird, dass die Kapazität der Offshore-Windkraftwerke verdreifacht und dass die Ladeinfrastruktur für E-Autos kräftig ausgebaut werden soll. Dazu muss sich aber das heute bestehende Verteilnetz deutlich ändern, sonst könnten die erneuerbaren Energien (Wind, Sonne) und die Elektromobilität nicht in die Verteilnetze integriert werden. Zudem müssen die Verteilnetze flexibler steuerbar werden. »All das bedeutet, dass künftig sehr viel mehr Mittelspannungs-Schaltanlagen benötigt werden als bisher«, sagt Stefan Rohrmoser, Geschäftsführer Vertrieb bei Eaton in Deutschland.
Das große Problem von SF6
Mittelspannungs-Schaltanlagen haben aber ein Problem: Sie werden heute häufig noch mit Schwefelhexafluorid (SF6) isoliert. Doch leider ist SF6 sehr viel schädlicher als CO2: 1 kg SF6 entspricht in seiner klimaschädlichen Wirkung nicht weniger als 23.500 kg CO2. Und was noch schlimmer ist: Im Gegensatz zu CO2, das in der Atmosphäre relativ schnell abgebaut wird, verweilt SF6 rund 3200 Jahre dort. Wer also die Energiewende vorantreiben will, um dem Klimawandel zu begegnen, der sollte darauf achten, dass die vielen neuen Mittelspannungs-Schaltanlagen, die jetzt installiert werden müssen, kein SF6-Isoliergas enthalten.
Doch fällt dies überhaupt ins Gewicht? Thoralf Bohn, Referent vom VDE, schätzt, dass in Deutschland rund 13.000 t SF6 verwendet werden. »Es gibt keine verlässliche Abdichtung der SF6-Behälter, SF6 entweicht also immer in die Atmosphäre. Bei der Entsorgung geht noch einmal ein Teil verloren. Zwar ist es laut freiwilliger Selbstverpflichtung erlaubt, dass die Anlagen 4 Prozent SF6 verlieren, ich schätze aber, dass aus einer Anlage über deren Lebenszeit einschließlich Entsorgung insgesamt rund 15 Prozent des SF6 verloren geht und in die Erdatmosphäre gelangt«, erklärt Stefan Rohrmoser.
Die Energiewende befeuert Bedarf an Schaltanlagen
Weil jetzt der Bedarf an Mittelspannungsanlagen schnell anzieht, wäre es also höchste Zeit festzulegen, dass die neu installierten Anlagen SF6-frei sein müssen. »Wenn nicht, dann müssen wir über die kommenden 30 bis 40 Jahre mit SF6-Schaltanlagen und den Folgen für das Klima leben!«, so Rohrmoser. Jede einzelne Anlage mit SF6 sei ein Problem für die Zukunft.
Allerdings steht die Entscheidung der EU darüber, ob SF6 endgültig verboten werden soll, noch aus. Ursprünglich hätte sie schon im Juli dieses Jahres fallen sollen, dann wurde sie aber auf den Juli 2021 verschoben. »Hier ist die EU leider etwas zögerlich vorgegangen«, so Rohrmoser.
Tatsächlich haben alle Beteiligten die hohe Schädlichkeit von SF6 erkannt, und deshalb ist das Gas in der EU bereits heute weitgehend verboten – mit den Ausnahmen von Hoch- und Mittelspannungs-Schaltanlagen, in denen es noch verwendet werden darf.
Die Argumente für diese Ausnahme lauten: Ohne SF6 würde die Bauform der Mittelspannungs-Schaltanlagen zu groß und sie würden zu viel kosten. Nun ist SF6 aufgrund der starken Bindung zwischen dem Schwefel und Fluor tatsächlich sehr gut geeignet, um die Ionisierung zwischen zwei Ladungen zu verhindern. In einer SF6-Atmosphäre können sich die Pole entgegengesetzter Ladung viel näher kommen, als das beispielsweise in Luft möglich wäre.
Die SF6-Skepsis schwindet zusehends
Doch die Netzbetreiber sind anfangs gegenüber neuen Technologien, wenn wenig Betriebserfahrungen vorliegen, sehr vorsichtig. »Noch ist der Markt gegenüber SF6-freien Schaltanalgen eher skeptisch, aber wir sehen immer mehr Pilotanlagen. Diese sind wichtig, um Betriebserfahrungen mit den verschiedenen Technologien sammeln zu können.«, sagt Thoralf Bohn. »Obwohl SF6 aus elektrischer Sicht hervorragend für Schaltanlagen geeignet ist, wollen die Anwender wegen des hohen Treibhauspotenzials aber trotzdem auf SF6 verzichten. Und der Bericht der EU-Kommission wird kommen, wenn auch mit Verspätung.« Es ist damit zu rechnen, dass dies dann das Ende der SF6-Schaltanlagen in der Mittelspannung einläutet. Deshalb komme jetzt mehr und mehr Bewegung in den Markt, es gebe bereits Pilotanlagen. »Wir sind an der Schwelle, wo die Dynamik einsetzt«, so Bohn. Der VDE will das unterstützen und arbeitet aktiv an dem Thema. So erstellt er Anwenderleitfäden, die den Weg zu Alternativen ebnen sollen. »Wir sehen uns in der Verantwortung, die Alternativen zu SF6 voranzubringen, es besteht allerdings noch viel Erklärungsbedarf«, sagt Bohn.
Er macht aber auch auf einen weiteren Punkt aufmerksam: Seit 2008 besteht eine Zertifizierungspflicht für diejenigen, die mit SF6 in Schaltanlagen arbeiten. Ziel der Schulungen ist es, Emissionen von SF6 zu vermeiden. Das Personal muss einen „Führerschein“ machen. »Das wird von der Branche breit unterstützt, kostet aber Geld«, so Bohn.