Forschungszentrum Juelich

Neuer Spezialstahl für die Energiewende

17. Juli 2015, 17:05 Uhr | Hagen Lang
Dr.-Ing. Bernd Kuhn vor einer Versuchsanlage zur Ermittlung des Ermüdungsrisswachstums. Damit wird die Restlebensdauer eines Werkstoffs nach dem ersten sogenannten technischen Anriss ermittelt.
© Forschungszentrum Jülich

In der Energiewende müssen Kraftwerke häufig vom Netz genommen werden. Jülicher Werkstoffwissenschaftler haben einen neuen Stahl entwickelt, der häufigen Lastwechseln in Dampfkraftwerken besser widersteht. Dafür erhielten die Forscher in London jetzt den Charles Hatchett Award 2015.

Das als HiperFer (High Performance Ferritic Steels) bezeichnete Material ist belastbarer und weniger anfällig für Korrosion als derzeit verwendete Legierungen. Für die Zusammenfassung ihrer grundlegenden Ergebnisse, in der Fachzeitschrift »Materials Science and Engineering A«, erhielten die Jülicher Forscher am 14. Juli 2015 in London den Charles Hatchett Award 2015.

Mit dem von der brasilianischen Firma CBMM, dem größten Niob-Produzenten der Welt, gesponserten Preis zeichnet das britische Institute of Materials, Minerals and Mining jedes Jahr eine herausragende wissenschaftliche Veröffentlichung im Zusammenhang mit dem Element Niob aus. Das Metall ist als entscheidender Zusatz in den neu entwickelten Stählen der Jülicher Forscher vom Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK-2). Die Stähle mit der Bezeichnung HiperFer ermüden langsamer und verformen sich daher weniger schnell als die heute gängigen Legierungen, die für Bauteile in Kraftwerken verwendet werden.

»Das ermöglicht höhere Betriebstemperaturen als die mit den heutigen Stahlsorten üblichen 620 Grad Celsius. Und nur mit höheren Temperaturen lässt sich auch der Wirkungsgrad eines Dampfkraftwerks erhöhen«, sagt der Jülicher Wissenschaftler Dr.-Ing. Bernd Kuhn, der das Fachgebiet metallische Werkstoffe und Fügetechnik leitet. Außerdem ist der neue Stahl weniger anfällig für Korrosion. In Dampfkraftwerken kann Korrosion dazu führen, dass Bauteile überhitzen und schneller kaputt gehen. Der neue Stahl könnte somit nicht nur die Belastbarkeit und Lebensdauer von Bauteilen verlängern, sondern auch hohe Wartungskosten reduzieren.

In der deutschen Energiewende laufen konventionelle Kraftwerke kaum noch im Dauer- oder Volllastbetrieb. Sie werden häufig teilweise oder ganz abgeschaltet, wenn der Anteil regenerativer Energien an der Stromerzeugung sehr hoch ist, und erst bei Bedarf schnell wieder angefahren. Dieser Start-Stopp-Betrieb bedeutet eine deutlich höhere Belastung für die Bauteile. Hinzu kommt: »Kühlt eine Anlage ab, sammelt sich Kondenswasser in den Rohren. Passiert das immer wieder, erhöht sich die Korrosionsgefahr«, erläutert Bernd Kuhn.

Das Geheimnis des neuen Stahls liegt in der speziellen chemischen Zusammensetzung und darauf angepasster Prozessführung bei der Weiterverarbeitung. Die Jülicher Wissenschaftler verwenden dafür eine Materialklasse, die noch nie für Bauteile von Kraftwerken genutzt wurde: rostfreie ferritische Stähle. Das sind Legierungen, die über einen vergleichsweise hohen Chromanteil verfügen.

Üblicherweise haben sie eine sehr gute Korrosionsbeständigkeit bei sehr hohen Temperaturen, besitzen aber typischerweise nur eine niedrige mechanische Festigkeit. Durch Zusätze lassen sich diese Eigenschaften verändern. Bei traditionellen Stählen passiert das mithilfe von Kohlenstoff- und Stickstoffanteilen. Bei rostfreien ferritischen Stählen funktioniert das nicht. Die Jülicher Forscher setzen daher auf eine intermetallische Phase: eine chemische Verbindung aus zwei oder mehr Metallen – in diesem Fall in erster Linie Niob und Wolfram. Sie bildet sogenannte Ausscheidungen aus, die den Werkstoff fest machen und die Verformung bei hohen Temperaturen behindern. »Die Schwierigkeit besteht darin, die Ausscheidungen äußerst fein im Stahl zu verteilen. Ist die chemische Zusammensetzung nicht ausgewogen kann der Stahl spröde werden.«, beschreibt Kuhn.

Auch mit industriellen Herstellungsverfahren haben sich die Wissenschaftler schon beschäftigt. Rund 200 Kilogramm schwere Versuchsschmelzen haben sie zusammen mit Partnern der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen hergestellt und gewalzt. Bezüglich des Schweißens der Werkstücke stellt Bernd Kuhn fest: »Nach anderthalb Jahren Tests sind wir vorsichtig optimistisch, dass es mit einer auf Kraftwerksbaustellen üblichen Methode, dem manuellen Elektrodenschweißen, funktionieren kann. Abschließende Tests müssen dies aber noch eindeutig bestätigen, dann wäre die Vorentwicklung abgeschlossen und die industrielle Entwicklung könnte beginnen«.


Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu Forschungszentrum Jülich GmbH

Weitere Artikel zu Energieerzeugung