Interview mit Nobelpreisträger Dr. Johannes Georg Bednorz

»Die Supraleitung muss jetzt breite Akzeptanz finden!«

3. April 2014, 11:49 Uhr | Heinz Arnold
Dr. Johannes Georg Bednorz: »Was mich besonders freut, ist, dass Deutschland sich bezüglich anwendungsorientierter Studien und Pilotprojekte über die letzten Jahre an der Weltspitze einreihen konnte.«
© energie-und-technik.de

Mit großem Interesse hat Dr. Johannes Georg Bednorz die Ziehl IV Konferenz in Bonn verfolgt. Energie & Technik sprach mit dem Nobelpreisträger über die Fortschritte der Hochtemperatur-Supraleiter-Technik über die letzten 30 Jahre und die Aussichten, die Technik zu industrialisieren.

Energie & Technik: Sie haben zusammen mit Karl Alexander Müller im Jahr 1986 die Hochtemperatursupraleiter entdeckt und dafür schon 1987 den Nobelpreis für Physik erhalten. Auf der Ziehl IV Konferenz des Industrieverbands Supraleitung erleben Sie im Jahre 2014, dass die Supraleitung nur sehr zögerlich in der Alltagswelt Einzug hält. Sind Sie eher enttäuscht von den bisherigen Ergebnissen?

Bednorz: Nein ganz und gar nicht. Ich bin mit gewisser Neugier zu dieser  Ziehl-IV-Konferenz gekommen, um mich zu informieren, welche Fortschritte in Deutschland erzielt wurden um die Hochtemperatur-Supraleitung bald einmal in konkreten Produkten zur Anwendung zu bringen. Was mich besonders freut, ist, dass Deutschland sich bezüglich anwendungsorientierter Studien und Pilotprojekte über die letzten Jahrean der Weltspitze einreihen konnte.

Die Hochtemperatursupraleitung in Deutschland ist also eine Erfolgsgeschichte?

Teils ja, teils nein. Das Engagement einzelner auch mittelständischer Unternehmen ist ermutigend. Da gibt es kreative Ideen und den Willen auch etwas zu riskieren. Sorge bereitet da eher, dass sich kapitalkräftige Unternehmen zu wenig engagieren. Dabei ist der Zeitpunkt für die deutsche Industrie noch nicht verpasst, hier die Chance zu ergreifen, und eine führende Rolle bei der Erschließung und Kommerzialisierung dieser neuen energieeffizienten Technologie zu übernehmen. Eine rühmliche Ausnahme ist da allerdings das supraleitende Kabel im Netz der RWE in Essen, entstanden aus der Zusammenarbeit von Forschung – Industrie und Anwender. Nach diesem Konzept sollten, nein, müssen weitere Pilotprojekte entstehen. Leider ist man in manchen Bereichen bisher nicht über den Bau von Prototypen hinausgekommen, die dann nie unter realistischen Einsatzbedingungen von einem Anwender erprobt wurden. Das ist sehr enttäuschend.

Das gilt aber auch für andere Länder, die viel mehr Geld in die Technik gesteckt haben?

Ja, das scheint tatsächlich ein weltweites Problem zu sein: Zuerst wird viel Aufhebens und Propaganda um neue Installationen und Projekte auf Basis der Hochtemperatursupraleitung gemacht, und dann versandet die Sache häufig klanglos. China ist in der Beziehung eine Ausnahme. In China redet man nicht, man macht.

Können Sie Beispiele für gescheiterte Projekte nennen?

Ein Beispiel in Deutschland ist das Kraftwerk Hirschaid. Hier wurde der Bau eines supraleitenden Generators angekündigt, der als Ersatz eines konventionellen Generators in das Kraftwerk eingebaut werden sollte. Dieser supraleitende Generator sollte  ermöglichen, 35 Prozent mehr Energie zu gewinnen, ohne das Wasserkraftwerk vergrößern zu müssen. Auf diese Weise könnten die existierenden Wasserkraftwerke künftig deutlich mehr Energie als bisher produzieren. Aber nach Verkündung von angeblich erfolgreichen Tests wurde das Projekt still und heimlich begraben, ohne dass es zur angekündigten Installation kam.

Fehlt es an einem zweiten Durchbruch, müssten wir neue Materialien finden, die bei noch höheren Temperaturen supraleitend werden?

Was höhere Sprungtemperaturen angeht, so ist meine Meinung, dass wir mit dem Erreichten zufrieden sein können.

Von der Entdeckung der Materialien mit hoher Sprungtemperatur bis zum heutigen Zeitpunkt, an dem wir Materialien in der Hand haben, die den wirtschaftlichen Einsatz der Hochtemperatursupraleitung in Kabeln, Strombegrenzern, Motoren und Generatoren versprechen, hat es 30 Jahre gedauert. Es ist immer ein sehr langwieriger Prozess erforderlich, um neue Materialien vom Labor in die industrielle Fertigung und schlussendlich in ein industrielles Produkt zu bringen. Deshalb stehe ich ganz neuen Materialen auch eher skeptisch gegenüber.

Selbst wenn man ein Material finden würde, dessen Sprungtemperatur sogar im Bereich der Raumtemperatur läge – was hättte man davon? Auch dieses Material müsste gekühlt werden, um seine volle Leistungsfähigkeit ausspielen zu können. Es ist viel sinnvoller, jetzt an den Materialien weiter zu arbeiten, die zur Verfügung stehen, und Methoden zur weiteren Erhöhung der Stromtragfähigkeit oder kostengünstigere Verfahren zur Herstellung von supraleitenden Drähten zu entwickeln. Gerade in Deutschland gibt es ja einige Firmen, die unterschiedliche Fertigungsverfahren für die wirtschaftliche Produktion der HTSL-Drähte der zweiten Generation entwickeln. Es stimmt optimistisch, dass diese Firmen und auch Unternehmen in anderen Weltregionen jetzt die Kapazitäten ihrer Fertigungsanlagen erhöhen und ab kommendem Jahr dann HTSL-Drähte der zweiten Generation in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen. Dadurch wird der Preis sinken und dadurch sind zwei weitere wichtige Argumente zur erfolgreichen Kommerzialisierung der Supraleitertechnologie gegeben.
 


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