Industrie 4.0 und Internet of Things

Digitale Goldgräberstimmung

29. Juni 2016, 14:18 Uhr | Karin Zühlke
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Anfangs als Hype belächelt, sorgen Industrie 4.0 und das Internet of Things inzwischen für Goldgräberstimmung in der Industrie – und das dürfte auch noch einige Jahre so bleiben. Fest steht, wer Industrie 4.0 verschläft, hat künftig schlechte Karten.

Die Fabriken sollen smart werden, um den Fertigungsstandort Deutschland und Europa dauerhaft zu sichern: Technisch führend will Deutschland mit dem Industrie-4.0-Modell sein und hat mit dem Industrie-4.0-„Fieber“ (fast) die ganze Welt angesteckt: Japan, China, USA, Frankreich usw – alle springen auf den Zug in Richtung “Digitalisierung“ auf.

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Prof. Siegfried Russwurm
Prof. Siegfried Russwurm, Siemens und Plattform Industrie 4.0 »Die Barrieren liegen immer da, wo es landes-, branchen- oder technologiespezifische Eigeninteressen oder gar Egoismen gibt.«
© Prof. Siegfried Russwurm

Und das ist auch gut so, meinen Experten wie Prof. Siegfried Russwurm, Mitglied der Leitung „Plattform Industrie 4.0“ sowie CTO und Mitglied des Siemens-Vorstandes, schließlich kann Industrie 4.0 nicht an Landesgrenzen aufhören: »Kein Unternehmen, kein Land, keine Regierung wird den Weg der Digitalisierung alleine bewältigen können. Nur wenn alle Beteiligten ihre Kräfte und Kompetenzen bündeln, wird die Umsetzung der Digitalen Transformation, von Industrie 4.0, Industrial Internet und Internet of Things gelingen. Die Barrieren liegen immer da, wo es landes-, branchen- oder technologiespezifische Eigeninteressen oder gar Egoismen gibt.«

Kein Raketenstart

Der Gedanke der „Industrie 4.0“ ist durchaus nicht neu: Schon vor 20 Jahren wurde unter dem Begriff „CIM – Computer Integrated Manufacturing“ viel diskutiert über die sich selbst steuernde Fabrik von morgen. Im weiteren Verlauf prägten und forcierten Hersteller von MES-Systemen den Begriff „Digitale Fabrik“: So war in Markt&Technik Ausgabe 6/2009 zu lesen: „Die Digitale Fabrik ist nur teilweise Realität“ – diese Headline hat bis heute nichts an Gültigkeit verloren.

Einen Raketenstart legte die Digitale Fabrik – jetzt Industrie 4.0 – auch bei ihrer Neuauflage im Jahr 2012 nicht hin. Uneinigkeiten in der ersten „Plattform Industrie 4.0“ und zu wenig konkrete Ergebnisse für die Praxis führten zu deren erfolgreicher Neuorganisation im Jahr 2015: Jetzt waren unter dem Dach der „Plattform Industrie 4.0“ nicht nur die Verbände mit im Boot, sondern auch Forschung, Industrie und Gewerkschaften.

Ein Ergebnis dieser neuen Plattform ist die interaktive Landkarte Industrie 4.0: Wo wird in Deutschland heute schon nach den Prinzipien der Industrie 4.0 gefertigt? Darüber gibt die interaktive Deutschlandkarte mit derzeit rund 200 Praxisbeispielen Aufschluss, die auf der Webseite der Plattform Industrie 4.0 (www.plattform-I40.de) veröffentlicht ist.

Das Modell erinnert grundsätzlich an die Testbeds, die die IIC ins Leben gerufen hat und sukzessive erweitert. Dieses praktische Vorgehen fand viel Zuspruch und bescherte dem IIC einen rasanten Mitgliederzuwachs. Auch deutsche Unternehmen wie Siemens sind dort Mitglied. Mit ihrer Industrie-4.0-Landkarte trägt das Plattform-Gremium der Forderung und Kritik Rechnung, Industrie 4.0 nicht ausschließlich aus Normungsperspektive zu betrachten, sondern parallel dazu auch die Praxis zu fördern. Auf die deutsche Online-Landkarte aufgenommen wurden daher bewusst nicht nur Beispiele von Großkonzernen wie Bosch oder Siemens, sondern auch Umsetzungen aus dem Mittelstand: Mit dabei ist beispielsweise das Projekt „CodeMeter zum Schutz von Know-how und Produktionsdaten“ von Wibu Systems. Code Meter unterstützt Maschinenhersteller in der Textilindustrie dabei, sowohl die Maschine selbst vor Nachbau und Reverse Engineering zu schützen, als auch die Produktionsdaten der Auftraggeber von Textilproduktionen, die auf diesen Maschinen in externen Fabriken produzieren lassen. 
 

itac Software
Dieter Meuser, itac Software „Das System soll zukünftig nicht nur Fehler erfassen und mithilfe von Qualitätsberichten dokumentieren, sondern auch über selbstlernende Systeme vollautomatisch die Ursachen ermitteln, um vorbeugend in den Fertigungsprozess einzugreifen zu können.“
© itac Software

Ein weiteres Beispiel aus dem Mittelstand bringen itac Software und Limtronik in die Landkarte mit ein: Beide Firmen sind Gründungsmitglieder der „Smart Electronic Factory“. Um die Industrie-4.0-Anwendungsszenarien in eine reale Fabrik zu integrieren und auf ihre praktische Umsetzbarkeit hin zu überprüfen, vereint die „Smart Electronic Factory“ Software-, Antriebs-, Steuerungstechnik- und Anlagenhersteller. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, die Anforderungen von Industrie 4.0 im Branchensegment Elektronik zu untersuchen, Lösungen zu entwickeln und diese auch für weitere Branchen nutzbar zu machen. So sollen unter anderem Maschinenprozesse optimiert und Aussagen über prozessspezifische Problemstellungen getroffen werden. Dafür haben die Partner eine einzigartige Industrie-4.0-Evaluierungsumgebung in der Fabrik von Limtronik in Limburg geschaffen. »Das System soll zukünftig nicht nur Fehler erfassen und mithilfe von Qualitätsberichten dokumentieren, sondern auch über selbstlernende Systeme vollautomatisch die Ursachen ermitteln, um vorbeugend in den Fertigungsprozess einzugreifen zu können«, erklärt Dieter Meuser, CTO von itac Software. Die Chancen der „Smart Electronic Factory“ sieht Limtronik-Geschäftsführer Gerd Ohl darin, dass mithilfe leistungsfähiger Korrelationsanalysen ein automatischer Rückschluss auf die prozessbezogene Fehlerursache erfolgen kann.

»Der Mittelstand soll vom Mittelstand lernen«, fasste Bundesministerin Johanna Wanka auf dem IT-Gipfel im November 2015 das Prinzip der Industrie-4.0-Landkarte zusammen.


  1. Digitale Goldgräberstimmung
  2. Mittelstand lernt vom Mittelstand
  3. Selbstkannibalisierung als Option
  4. John Deere / IBM: Traktorfertigung 4.0

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