Ferroelektrische Materialien

Materialeigenschaft könnte Mikroelektronik revolutionieren

30. Oktober 2019, 11:20 Uhr | Hagen Lang
Die Kristallstruktur ferroelektrischer Materialien lässt sich durch elektrische Signale ändern. Nach Eintauchen in eine Säure wird der Unterschied im Rasterelektronenmikroskop sichtbar.
© Simon Fichtner

Für industrielle Anwendungen lassen die Eigenschaften ferroelektrischer Materialen häufig zu wünschen übrig. Die bei Aluminium-Scandium-Nitrid (AIScN) neu entdeckte ferroelektrische Eigenschaft besitzt hingegen erhebliches technologisches Potential.

Materialwissenschaftler Simon Fichtner von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) untersuchte im Rahmen seiner Doktorarbeit Aluminium-Scandium-Nitrid (AIScN), das er im Reinraum des Nanolabors der CAU selbst hergestellt hatte. Dabei machte er die unerwartete Beobachtung, dass sich durch das Anlegen großer elektrischer Felder die Kristallstruktur des Materials um 180 Grad drehen ließ. Das ferroelektrische Verhalten des Materials war zuvor unbekannt.

Die ubiquitär in der Mikroelektronik eingesetzten Ferroelektrika besitzen auch ohne von außen angelegtes elektrische Feld eine elektrische Ausrichtung und verändern ihre Kristallstruktur auf atomarer Ebene sowie ihre elektrische Ausrichtung, werden sie von einem elektrischen Signal angeregt.

Prof. Wagner und Simon Fichtner
Prof. Bernhard Wagner und Doktorand Simon Fichtner haben bisher unbekannte Eigenschaften in einem Material entdeckt, die zahlreiche Anwendungen in der Mikroelektronik ermöglichen könnten.
© Julia Siekmann, CAU

Simon Fichtner konnte die von ihm gefundenen ersten Hinweise auf Ferroelektrizität bei AIScN durch weiterführende Experimente bestätigen. »Wir wollten das Material eigentlich für besonders leistungsfähige Chip-Antriebe nutzen, zum Beispiel für Lautsprecher. Deshalb haben wir getestet, wieviel Spannung es verträgt«, erklärt der Materialwissenschaftler. »Wir hatten erwartet, dass es dabei irgendwann kaputtgeht. Stattdessen änderte es an einem bestimmten Punkt seine elektrische Polarisation ins Negative«, ergänzt sein Doktorvater Bernhard Wagner, Professor für Materialien und Prozesse der Nanosystemtechnik an der CAU und zugleich stellvertretender Leiter des ISIT.

Diese besondere Eigenschaft erhöht das technologische Potential des AIScN-Materials enorm. Im Vergleich zu anderen ferroelektrischen Materialien zeichnet sich AlScN außerdem durch eine deutlich verbesserte Stabilität und Leistungsfähigkeit aus. Gleichzeitig ist es technisch besonders gut kompatibel mit zentralen Technologien der Halbleiterindustrie. Mit AIScN hergestellte technische Bauteile könnten zum Beispiel Klang, Energieverbrauch und Lebensdauer von Kopfhörern verbessern oder die Reaktionsgeschwindigkeit und Langlebigkeit von Informationsspeichern erhöhen. Die Entdeckung der Forscher wurde im Fachmagazin „Journal of Applied Physics“ als „Featured Article“ hervorgehoben.

In einem gemeinsamen BMBF-Projekt mit dem Fraunhofer-Institut für Siliziumtechnologie in Itzehoe (ISIT) und dem Fraunhofer-Institut für angewandte Festkörperphysik in Freiburg (IAF) werden die Forscher das Verhalten des Materials jetzt noch genauer untersuchen und herausfinden, welche neuen technischen Anwendungen es ermöglicht. Das ISIT erforscht die Einsatzmöglichkeiten von AIScN für Aktuatoren, während das IAF damit bessere Leistungstransistoren herstellen will.

Denkbar ist auch der Einsatz in der Optoelektronik oder der Medizintechnik. Dafür arbeiten Wagner und Fichtner auch mit anderen Arbeitsgruppen aus den Bereichen Nanoelektronik (Professor Hermann Kohlstedt) und Transmissionselektronenmikroskopie (Professor Lorenz Kienle) der CAU zusammen. »Wir konnten hier das erste Ferroelektrikum herstellen, das auf einem sogenannten III-V-Halbleiter basiert. Mit diesem Material lassen sich technisch bahnbrechende neue Bereiche erschließen, die mit den etablierten Ferroelektrika bisher nicht zugänglich waren – das könnte einen regelrechten Innovationsschub in der Mikroelektronik und Mikrosystemtechnik auslösen«, beschreibt Wagner das Potential der Entdeckung.

Möglich war das vor allem durch die Infrastruktur an der Kieler Universität. Mit einer hochspeziellen Sputteranlage des Kompetenzzentrums Nanosystemtechnik der CAU lässt sich die Zusammensetzung von Materialen gezielt ändern. »So konnten wir Materialien mit einem besonders hohen Skandiumgehalt von über 40 Prozent herstellen«, erklärt Fichtner.


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