Fortentwicklung

Das Stromnetz soll „autonomer“ werden

5. August 2020, 11:21 Uhr | Hagen Lang
© VDE

Ein Impulspapier der Energietechnischen Gesellschaft im VDE (VDE ETG) zeigt, wie stufenweise die Automatisierung der Netzbetriebsführung bis 2030 trotz steigender Einspeisung volatiler Erneuerbarer die Energieversorgung gewährleistet. Anleihen nimmt das Konzept beim autonomen Fahren.

Die Einspeisung erneuerbarer Energien (Wind- und Solarenergie) führt die Stromnetze zunehmend an ihre Kapazitätsgrenzen. Hinzu kommt der zu erwartende Zuwachs bei neuen Abnehmern wie der Elektromobilität. In einem neuen VDE Impulspapier zeigen die Experten der Energietechnischen Gesellschaft im VDE (VDE ETG), wie mithilfe von Automatisierungstechnik schrittweise bis 2030 die reibungslose Stromversorgung bei höheren Anforderungen sichergestellt werden kann.

In ihrer Analyse definieren die Experten in Anlehnung an die Autonomiestufen beim hochautomatisierten Fahren fünf Autonomiestufen für den Netzbetrieb. Gleichzeitig zeigen sie auf, welche Teilautomatisierungsfunktionen bereits Stand der Technik sind und identifizieren Prozesse, deren Automatisierungsgrad schrittweise bis zu einem Umsetzungshorizont 2030 erhöht werden soll.

„Der Betrieb unserer Stromnetze hat inzwischen einen Komplexitätsgrad erreicht, der umfangreiche Assistenzsysteme und Automatisierungsfunktionen erfordert. Speziell in den Mittel- und Niederspannungsnetzen wird zur Umsetzung der aktiven Netzführung und Koordination flexibler Einspeiser und Lasten ein deutlich höherer Automatisierungsgrad notwendig,“ erklärt VDE ETG-Experte Prof. Dr.-Ing. Martin Braun vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik in Kassel.

Schrittweise Automatisierung bis 2030

Eine Gesamtsystemautomatisierung (Autonomiestufen 4 und 5) erwarten die Experten in den nächsten zehn Jahren nicht. „Es sind aber über entsprechende Teilautomatisierungsstufen bereits zahlreiche Schritte in diese Richtung möglich, um die zunehmende Komplexität zu beherrschen und die Netzführung sicherer und effizienter auszugestalten,“ erläutert Braun. So ist in den Leitstellen des Übertragungsnetzes bereits jetzt die Autonomiestufe 1 (Decision Support) für zahlreiche Funktionen wie etwa das Engpassmanagement als Entscheidungsunterstützung für das Systemführungspersonal möglich. Um die Reaktionsfähigkeit durch Teilautomatisierung (Autonomiestufe 2) zu erhöhen, wird dies bereits unter anderem für Schaltprogramme eingesetzt. Perspektivisch empfehlen die Experten, die Teilstörungsbeseitigung und den Lastabwurf teilautomatisiert (Autonomiestufe 2) auszuführen. Für das Engpassmanagement und die Spannungs- bzw. Blindleistungskoordination empfehlen die Experten die Autonomiestufe 3.

Digitalisierung ist Grundlage

In den Nieder- und Mittelspannungsortsnetzen wird die Entwicklung von der erforderlichen Prozessanbindung abhängig sein. Die VDE ETG-Experten verweisen hier auf die Bedingungsautomatisierung, sprich Autonomiestufe 3, für verteilte Regler an Transformatoren und dezentrale Anlagen zur Spannungshaltung und zum Engpassmanagement. „Im Nieder- und Mittelspannungsnetz ist die Automatisierungsstufe auch abhängig von der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) und den Rückfallebenen für die dauerhafte Gewährleistung des sicheren Netzbetriebs“, fügt Braun hinzu. Für die Ortsnetze erwarten die Autoren einen höheren Grad der Automatisierung (Autonomiestufe 4) für den Normalbetrieb in regional begrenzten Teilgebieten, zum Beispiel zur Spannungshaltung, zum Engpassmanagement und für den Inselnetzbetrieb. „In einigen Pilotprojekten zur Sektorenkopplung, wie zum Beispiel Ladeinfrastruktur 2.0, werden die Umsetzungsmöglichkeiten sowie deren Nutzen und Wirtschaftlichkeit bereits ausgelotet. Wenn diese Projekte entsprechendes Potenzial ausweisen, können unterstützende Flexibilitäten im Verkehrs- und Wärmesektor für die Stromnetze automatisiert erschlossen werden“, erklärt der Experte.

Die VDE ETG veranstaltet am 28.01.2021 in Dortmund die Fachtagung „Hochautomatisierter Netzbetrieb“ und bietet vorab am 27.10.2020 das Online-Seminar „Autonomiestufen in der Netzbetriebsführung“ an. „Wir bieten damit allen Interessierten die Möglichkeit, den VDE Impuls zu diskutieren und ihre innovativen Ideen zum Thema voranzutreiben“, schließt Braun ab.


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