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Elektromobilität braucht einen systemischen Ansatz

27. September 2011, 16:13 Uhr | Kevin Parmenter, Exar
Haltverbot/Zusatzschild: »Frei für ladende Elektrofahrzeuge« (Ladestation am Ernst-Reuter-Platz in Berlin)
© Wikipedia, Fotograf: Chrischerf

In Phoenix/Arizona stehen reihenweise verwaiste und verstaubte Ladestationen aus den 90er Jahren, einer Zeit, in der General Motors das Elektroauto EV1 entwickelte. Hochfliegende Pläne verliefen also im Wüstensande. Woran sind sie gescheitert? An der mangelnden Infrastruktur und Wirtschaftlichkeit.

Heute mahnen die Ladestationen, dass man technische Errungenschaften nicht zu schnell und zu früh implementieren sollte. Denn bei allen hoch fliegenden Plänen vergessen wir gern das große Ganze. Wenn beispielsweise Industrieparks und Wohnkomplexe gebaut werden, wird selten auch an die Infrastruktur gedacht, die deren langfristiges Wachstum unterstützen kann. Das Straßennetz wird erst ausgebaut, wenn der Verkehr steht. Dann werden die nötigen Datensätze eruiert, um Erweiterungen zu legitimieren.

Das Elektrofahrzeug-Dilemma

Der Markt für Elektrofahrzeuge (EV) hat viel Ähnlichkeit mit dem Straßenbau: Die EVs werden sich ohne Modifikationen der Infrastruktur nicht auf breiter Basis durchsetzen können. Das liegt vor allem daran, weil es in Deutschland bereits eine hervorragend ausgebaute Infrastruktur mit mehr als 14.000 Tankstellen gibt, um Kraftstoff für Millionen benzin- und diesel-getriebener Fahrzeuge bereitzustellen - an diesen Service sind die Menschen gewöhnt, den wollen sie nicht aufgeben.

Wenn ein möglicher Ersatzstoff für Benzin und Diesel also nicht schneller lieferbar und kostengünstiger herzustellen ist, wenn also der so bequeme Kraftstoff nicht durch ein ähnlich leicht verfügbares Medium ersetzt werden kann, dann wird die erfolgreiche Einführung einer alternativen Energieart noch lange Zeit auf sich warten lassen.

Das heißt, der Ersatz für das populäre Benzin sollte sich einerseits so »anfühlen wie Benzin«, andererseits sollte er aber auch nachhaltig sein. Auf den ersten Blick scheint es so, als ob die EVs uns die kohlenwasserstoffbasierten Kraftstoffe abgewöhnen können.

Bruttostromerzeugung nach Energieträgern in Deutschland für das Jahr 2010
Bruttostromerzeugung nach Energieträgern in Deutschland für das Jahr 2010
© AG Energiebilanzen e.V.

Es könnte aber auch sein, dass die klassischen, EV1-ähnlichen Elektrofahrzeuge das Problem nur verschieben. Fossile Brennstoffe liefern heute mehr als die Hälfte der verbrauchten Kraftwerksenergie, egal ob man Deutschland betrachtet oder die Vereinigten Staaten. Wegen des Ausstiegs aus der Kernkraft wird ihr Anteil in Deutschland wahrscheinlich sogar noch wachsen.

Das Aufladen unserer Elektrofahrzeuge dürfte also, sozusagen ungewollt, große Mengen traditioneller, nicht-nachhaltiger, nicht-erneuerbarer, fossiler Energie-Ressourcen beanspruchen. Wenn viele energiebewusste Leute ihre EVs gleichzeitig aufladen, müssen sich die Kohle- und Gaskraftwerke mächtig ins Zeug legen, um die dafür benötigte Spitzenlast zu bewältigen. Das gilt auch für Szenarien, in denen 100 Prozent der Energieversorgung nuklearen oder solaren Ursprungs ist, hydroelektrisch erzeugt wird, oder auf Wind bzw. Geothermie basiert. Fakt ist: Wenn jeder zur gleichen Zeit von der Arbeit nach Hause kommt und sein Fahrzeug mit der heimischen Ladestation verbindet – dann ist das ein Worst-Case-Szenario, das Ingenieure in Betracht ziehen und das Versorgungssystem für entsprechende Spitzenlasten dimensionieren müssen.

Betrachten wir die Energiemenge, die von den 14.500 Tankstellen in Deutschland tagtäglich bereitgestellt wird. Können wir die Stromversorgungsnetze genügend erweitern, um das Äquivalent dieser Energie zu den Verbrauchern an ihrem jeweiligen Standort zu transportieren? Hinzu kommt noch, dass etwa 6 bis 8 Prozent der elektrisch erzeugten Energie beim Aufladen der Fahrzeuge als Wärme verloren gehen.

Wenn diese Energie nun elektrisch angeliefert wird und alle Nachbarn ihre EVs gleichzeitig aufladen, dann werden die Leistungsschalter der Trafostation in den Wohngebieten wahrscheinlich wegen Überlastung abschalten. Die EVs könnten also das Netz - wie es heute existiert – schnell überfordern. Denn der Anschluss eines Elektrofahrzeuges wirkt zumindest temporär auf das Versorgungsnetz wie der Anschluss eines neuen Hauses. Wann, glauben Sie, wird Ihr Stromversorger die notwendige Kapazität auf eigene Kosten in Ihrem Straßenblock installieren, um alle kommenden EVs zu berücksichtigen? Und bei diesen Betrachtungen sind die Probleme mit den Batterien noch nicht einmal berücksichtig.


  1. Elektromobilität braucht einen systemischen Ansatz
  2. Leistungselektronik kann helfen

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