Motoren auf Brennstoffzell-Basis

Mit MathWorks-Software die Entwicklung optimieren

10. März 2023, 13:34 Uhr | Philipp Wallner, Gaurav Tomar, Dr. Frank Graeber, alle MathWorks; Redaktion: Kathrin Veigel
Wasserstoff-Brennstoffzellen verringern die CO₂-Emissionen von Nutzfahrzeugen wie etwa Containerabfertiger erheblich.
© kamonrat/Adobe Stock

Um CO₂-Emissionen bei schweren Nutzfahrzeugen, wie sie zum Beispiel in Häfen eingesetzt werden, zu reduzieren, sind Brennstoffzellen das Mittel der Wahl. Um diese Brennstoffzellmotoren besser und schneller zu entwickeln, setzt der Hersteller Nuvera auf Matlab und Simulink von MathWorks.

Die Schiffsverkehr- und Seehafen-Infrastruktur ist ein maßgeblicher Verursacher von Treibhausgasemissionen (THG). Nach Angaben der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation verursacht der Seeverkehr jährlich über 900 Millionen Tonnen CO2. Die globale Wirtschaft ist auf den Seeverkehr angewiesen, um ihre Produkte zum Verbraucher zu bringen, wobei bis zu 90 Prozent aller ausländischen Güter auf Containerschiffen transportiert und in Häfen abgefertigt werden – doch die Umweltbelastung ist erheblich. Zudem sind die Anwohner von stark frequentierten Seehäfen einer gefährlichen Luftverschmutzung ausgesetzt, die durch die Emissionen von Dieselmotoren der dort verkehrenden Nutzfahrzeuge verursacht wird.

So laden und entladen beispielsweise große Industriefahrzeuge, sogenannte Umschlaggeräte, die Container von den Schiffen. Jedes Umschlaggerät stößt dabei bis zu 144 Tonnen CO2 pro Jahr aus – und ein großer Hafen kann Hunderte dieser Geräte vor Ort haben. Der Austausch des Dieselmotors in nur einem Containerumschlaggerät gegen eine umweltfreundliche Alternative hätte eine ähnliche Wirkung wie die Abschaffung von 32 mit Benzin betriebenen Pkw auf unseren Straßen.

Mittlerweile werden bei Pkw, Fernverkehrs-Lkw, Lokomotiven und schwerem Gerät Verbrennungsmotoren durch umweltfreundlichere Alternativen ersetzt. Hierbei sind akkubetriebene Elektrofahrzeuge mit einer stetig wachsenden Zahl von Fahrzeugmodellen und Ladestationen in den Fokus gerückt.

Doch in den Häfen handelt es sich bei den Verbrennungsmotoren um Dieselmotoren in Schwerlastfahrzeugen wie Lastwagen, Gabelstaplern und Containerumschlaggeräten. Für viele dieser Arbeiten sind Akkus und die erforderliche Ladeinfrastruktur nicht geeignet. Und genau hier kommen Brennstoffzellen ins Spiel.

Förderung der Elektrifizierung

Brennstoffzellen eignen sich ideal für Standorte mit schweren Gerätschaften, die in langen Schichten mit minimalen Stillstandszeiten zum Nachtanken laufen müssen. Die Betankung einer Wasserstoff-Brennstoffzelle dauert etwa so lange wie die eines ähnlich großen Kraftstofftanks, wohingegen das Aufladen eines Akkus für Schwerlast-Elektrofahrzeuge mehrere Stunden dauern würde. So bieten Brennstoffzellen die nötige Leistungsdichte und Reichweite, um eine 8-Stunden-Schicht problemlos zu absolvieren. Ein Unternehmen, das sich auf Brennstoffzellentechnologie für Nutzfahrzeuge konzentriert, ist Nuvera.

»Brennstoffzellen sind immer dann besser als herkömmliche Akkus, wenn eine große Reichweite erforderlich ist oder wenn das Aufladen der Akkus zu lange dauert – also etwa bei Booten, Flugzeugen, Lastwagen, Bussen und Einsatzfahrzeugen«, erläutert Gus Block, einer der Gründungsmitarbeiter und Director von Nuvera Fuel Cells.

»Darüber hinaus werden sie auch benötigt, wenn die Akkus zu groß sind, um in ein Fahrzeug zu passen, oder so schwer, dass sie die Nutzlast beeinträchtigen würden«, so Block. »Die für den elektrisch betriebenen Containerumschlag benötigte Batterie hätte zum Beispiel die Größe eines kleinen Elefanten.«

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Nuvera MathWorks Brennstoffzellen
Einer von Nuveras E-Series-Brennstoffzellenmotoren
© Nuvera Fuel Cells

Eine Brennstoffzelle produziert lediglich Abwärme und Wasser. Ohne bewegliche Teile ist das Konstruktionsprinzip einfach: Eine Membran befindet sich sandwichartig zwischen zwei Elektroden. Wenn der Wasserstoffbrennstoff auf die Anode trifft, wird er in ein Proton und ein Elektron aufgespalten. Das Proton gelangt durch die Membran zur Kathode, wo es auf Sauerstoff trifft. Das Elektron nimmt einen längeren Weg zwischen den Elektroden, indem es einen Stromkreis durchläuft. Der Elektronenfluss erzeugt somit den Strom für den Motor. An der Kathode verbinden sich die Protonen, Elektronen und der Sauerstoff zu Wasser.

Auf die Hydratation kommt es an

Die Wissenschaft ist einfach, aber die Perfektionierung des Verfahrens für eine leistungsstarke Energiequelle ist komplex und aufwändig. Viele Faktoren bestimmen die vielfältigen Reaktionen in einer Brennstoffzelle — ein Softwaresteuerungssystem muss sie alle berücksichtigen, um die größtmögliche Leistung und Effizienz aus dem Gerät herauszuholen. Das Regelungssystem nimmt aufgrund von Rückmeldungen permanent Korrekturen vor.

»Eine der größten Herausforderungen bei der Entwicklung ist die richtige Hydratation der Zellen«, erklärt Pierre-François Quet, Chefingenieur von Nuvera. »Zu wenig Wasser und die Protonen kommen nicht durch; zu viel und die Zellen werden überflutet.«

Das Nuvera-System steuert die Hydratation durch Anpassung der Kühlmitteltemperatur und Regulierung des Luftstroms, um den Grad der Verdunstung zu erhöhen oder zu verringern. Für die Entwicklung der Software zur Steuerung des Brennstoffzellenmotors – der in der Regel aus Hunderten von Brennstoffzellen besteht, zwischen denen Kühlmittel fließt, sowie einer Kühlmittelpumpe und einem Luftkompressor – setzt Nuvera auf Matlab und Simulink von MathWorks.

Ein Anlagenmodell des Brennstoffzellenmotors, das Gleichungen für die elektrischen und chemischen Reaktionen sowie für die Temperaturen und Drücke von Wasser, Gasen und Kühlmittel enthält, ist ebenfalls in Simulink implementiert. Auf Basis dieser Simulation kann Nuvera Algorithmen schreiben, um Faktoren wie den Kühlmittelfluss zu optimieren und so die bestmögliche Leistung zu erzielen. Sobald der Algorithmus fertiggestellt ist, wird er von Simulink in einen Code übersetzt, der auf einem in den realen Brennstoffzellenmotor integrierten Prozessor läuft.

Nuvera Hyster Gabelstapler Brennstofftellmotor
Die Brennstoffzellenmotoren von Nuvera werden unter anderem in Gabelstaplern der Muttergesellschaft Hyster-Yale Group eingesetzt.
© Hyster-Yale Group

Die Regelungsalgorithmen berücksichtigen überdies auch zahlreiche Einsatzbedingungen. In der Simulation testet Nuvera das System bei niedrigen und hohen Umgebungstemperaturen sowie in Umgebungen mit niedriger und hoher Luftfeuchtigkeit.

Um ihre Algorithmen in einer realistischeren Umgebung zu testen, führt Nuvera sogenannte Hardware-in-the-Loop-Tests durch: Sie laden ihr Motormodell auf einen von Speedgoat hergestellten Spezialcomputer, der auf die gleichen Ein- und Ausgänge wie der reale Motor zugeschnitten ist und dessen Betrieb in Echtzeit simulieren kann. Der gleiche eingebettete Computer, der den Brennstoffzellenmotor steuert, ist mit der Speedgoat-Box verbunden und wird mithilfe von aus Simulink generiertem C-Code programmiert.

Dieses Setup sorgt für mehr Präzision und ermöglicht den Nuvera-Ingenieuren eine schnelle Iteration ihrer Entwicklung. Außerdem erlaubt es weitere Experimente, ohne einen echten Motor dabei zu gefährden.

Eine andere Form von Hybrid

Praktisch alle Brennstoffzellenfahrzeuge sind elektrische Hybridfahrzeuge, die sowohl mit Brennstoffzellen als auch mit Akkus betrieben werden. In einigen Fällen liefern Brennstoffzellen eine Erhaltungsladung für den Akku, während in anderen Konfigurationen sowohl die Brennstoffzelle als auch der Akku die Motoren über einen elektrischen Bus versorgen. Ferner werden Akkus eingesetzt, um die rekuperierte Energie eines Fahrzeugs aufzunehmen, etwa wenn ein Gabelstapler bremst oder eine Last absenkt.

Das Team von Quet musste zunächst ein Modell der Lithium-Ionen-Batterie in Simulink erstellen, das auf den vom Hersteller zur Verfügung gestellten und intern gesammelten Daten basierte. Sie schrieben darüber hinaus auch Algorithmen, die den Ladezustand des Akkus anhand der gemessenen Werte wie Spannung und Stromstärke abschätzen konnten. Anschließend programmierten sie den Regelungsalgorithmus mit Simulink. Das System muss einen idealen Ladezustand des Akkus aufrechterhalten, sodass stets die erforderliche Energie für die Spitzenlast und ausreichend Kapazität für die Rückgewinnung von Energie vorhanden ist. Das Nuvera-Team entwickelte zusätzlich die optimale Größe für verschiedene Systemkomponenten, indem es die Algorithmen in einer Reihe von simulierten Gabelstapler- und Lastszenarien testete.

Das Beste aus beiden Welten

Brennstoffzellen weisen die gleichen Stärken auf wie Akkus und Verbrennungsmotoren. Und genau wie Akkus sind sie skalierbar, leise und erzeugen keine schädlichen Emissionen. Aber Fahrzeuge mit Brennstoffzellen bieten auch jene großen Reichweiten und kurzen Betankungszeiten, die bei benzin- und dieselbetriebenen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor typisch sind.

Wasserstoff kann unter Druck in einem Kraftstofftank gespeichert werden, der viel mehr Energie enthält als ein Akku der gleichen Größe: Anstatt also anzuhalten, um diesen wieder aufzuladen oder zu wechseln, kann man das Fahrzeug genauso lange oder länger betreiben als ein entsprechendes Elektrofahrzeug und braucht dabei nur wenige Minuten, um den Kraftstofftank zu füllen.

Die Brennstoffzellenmotoren von Nuvera werden unter anderem in Gabelstaplern der Muttergesellschaft Hyster-Yale Group eingesetzt. Daneben hat Nuvera zwei seiner E-45-Brennstoffzellenmotoren in ein Hyster-Containerumschlaggerät integriert, das im Hafen von Los Angeles eingesetzt wird. Allein durch den Wechsel des Dieselmotors zu einem brennstoffzellenbetriebenen Elektroantrieb in diesem Fahrzeug werden jährlich 128 Tonnen CO2 vermieden. Nuvera arbeitet mit anderen Herstellern zusammen, um mithilfe von Brennstoffzellen Busse, Züge und Spezialfahrzeuge zu elektrifizieren und so deren Emissionen erheblich zu reduzieren.

Die Autoren

Philipp Wallner
ist Industry Manager für Industrial Automation & Machinery bei Mathworks

Gaurav Tomar
ist Automotive Industry Manager EMEA bei MathWorks

Dr. Frank Graeber
ist Manager Application Engineering bei MathWorks


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