Suprafluidität und Supersolidität

Magnetische Kristalle - flüssiger als Wasser

29. März 2017, 16:01 Uhr | Hagen Lang
Darstellung der Spinell-Verbindung MnCr2S4 (Mn: rot, Cr: blau, S: gelb) als Supersolid: Geordnete Chromspins (rot) sind von Manganspins (gelb) umgeben, die die Symmetrie einer Supersolid-Phase haben.
© V. Tsurkan

Theoretisch untersucht sind Materialien die flüssig und gleichzeitig fest sind, in der Physik seit 50 Jahren, u.a. von den Nobelpreisträgern Thouless, Anderson und Legget. Bislang konnte man sie nicht erzeugen. Physiker aus Augsburg und Dresden haben einen Weg identifiziert, sie herzustellen.

Nur schwer vorstellbar sind Materialien, die gleichzeitig zwei Aggregatzustände besitzen, geschweige denn kristallin und superflüssig (ohne Viskosität) gleichzeitig sind. Die von Nobelpreisträger Antony Legget (Nobelpreis 2003) schon 1970 gestellte Frage, »Can a Solid be Superfluid?«, harrt bis heute ihrer Beantwortung.

Superfluides, superflüssiges Helium, das völlig reibungsfrei dünnste Kapillaren durchdringt, ist ebenso bekannt wie supraleitende Elektronen, die Paare bilden und sich ohne jeden elektrischen Widerstand durch Metalle fortbewegen. Weder die Reibungsfreiheit noch das Fehlen eines elektrischen Widerstandes sind aber »normal«. Sie sind Beispiele für das 1924 vorhergesagte Bose-Einstein-Kondensat (BEK), das einen extremen Aggregatzustand ununterscheidbarer Teilchen bezeichnet, einen makroskopischen Quantenzustand, der mit der klassischen Physik nicht vollständig erklärbar ist.

Die sogenannte Supersolidität eines kristallinen Festkörpers, der durch Quantenphänomene auch superfluide Eigenschaften aufweist, sich also wie eine Flüssigkeit ohne Viskosität verhalten kann, ist ein weiteres Beispiel für ein Bose-Einstein-Kondensat. Die Supersolidität konnte nicht, wie lange erhofft, in ultrakaltem festem Helium realisiert werden, sondern erst vor kurzem (2017) wurde gemeldet, dass es einigen Wissenschaftlern (Leonard et.al.) gelungen sei, mit lasergekühlten Atomfallen einige hundert Atome in ein Bose-Einstein-Kondensat zu überführen.

Forscher des Zentrums für Elektronische Korrelationen und Magnetismus der Universität Augsburg haben in Kooperation mit dem Hochfeldmagnetlabor des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf jetzt eine andere Methode zur Herstellung von Bose-Einstein-Kondensaten identifiziert. Sie wollen kohärente Quantenzustände durch die Bose-Einstein-Kondensation von Magnonen herstellen. Magnonen sind angeregte Spinzustände in einem magnetischen Kristallgitter.

»In Kooperation mit der Gruppe des Kollegen Wosnitza in Dresden haben wir im dortigen Hochfeld-Magnetlabor MnCr2S4-Einkristalle mittels Magnetisierung und Ultraschall bei tiefen Temperaturen und Magnetfeldern von bis zu 60 Tesla untersucht«, berichtet Prof. Dr. Alois Loidl, Inhaber des Lehrstuhls für Experimentalphysik V am Augsburger Zentrum für Elektronische Korrelationen und Magnetismus.

»Bei sehr hohen Magnetfeldern«, so Loidl weiter, »fanden wir in der Probe einen ungewöhnlich robusten magnetischen Zustand, bei dem die Mangan-Spins ideale antiparallele, also antiferromagnetische Ordnung zeigen. In diesem Zustand wird das magnetische Chrom-Austauschfeld durch das extrem hohe von außen angelegte Magnetfeld ideal kompensiert. Die Magnetisierung bleibt in einem Bereich von 25 Tesla absolut konstant«.

Loidls Mitarbeiter Dr. Vladimir Tsurkan ergänzt: »Ein derartiges Magnetisierungsplateau ist äußerst ungewöhnlich, und theoretisch wird vorhergesagt, dass in den daran angrenzenden Phasen Supersolidität vorliegt. Diese Phasen haben wir in der vorliegenden Arbeit nun identifiziert und charakterisiert«.

»Mit dem Ergebnis unserer Untersuchungen an der Mangan-Chrom-Verbindung haben wir jetzt also ein Indiz dafür, dass magnetische Systeme unter extremen Temperatur-, Druck- oder Magnetfeld-Bedingungen als Quanten-Gittermodelle beschrieben werden können. Sie präsentieren sich damit als äußerst interessante Kandidaten zur Realisierung kohärenter Quantenphänomene.«

 


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