Die regionalen Energieversorger müssen ihr Netz kräftig ausbauen, um mit der Einspeisung erneuerbarer Energien fertig zu werden. Doch die Ressourcen an Personal und Material sind knapp. Markt&Technik sprach mit Frank Hose, Vorstand von EnBW ODR AG, über die künftigen Herausforderungen.
Markt&Technik: Weil die Photovoltaik-, Wind- und Biomasse-Anlagen den Strom in die Nieder- und Mittelspannungsnetze einspeisen, müssen diese Netze stärker und intelligenter werden. Was bedeutet das konkret?
Frank Hose: Bisher kannte der Strom vornehmlich nur eine Richtung: von wenigen großen Kraftwerken über die Umspannwerke, Transformatorenstationen und Niederspannungsleitungen zum Kunden. Wenn nun viele tausende Photovoltaikanlagen die Energie ins Niederspannungsnetz einspeisen, kehrt sich die Stromrichtung um. In ländlichen Gebieten mit großen Dachflächen ist die eingespeiste Leistung aus Photovoltaikanlagen zeitweise deutlich größer als die höchste Bezugsleistung der Kunden. An sonnigen Sonn- und Feiertagen mit wenig Stromverbrauch und hoher Einspeiseleistung muss der überschüssige Strom sogar aus der Region in die Hochspannungsnetze rückgeliefert werden.
Deshalb müssen die regionalen und örtlichen Netze nicht nur verstärkt, sondern wesentlich intensiver als bisher notwendig überwacht und gesteuert werden. Energieerzeugung und Energieverbrauch müssen in jeder Sekunde im Gleichgewicht sein. Intelligent gesteuert wird zum Beispiel bald mit modernen Trafos in intelligenten Stationen mit automatisch steuerbaren Stufenschaltern zur Spannungsregelung. Bisher hat es genügt, die Spannungsregelung für einen größeren Netzbereich über die Umspanner in den Umspannwerken, die von Hochspannung auf Mittelspannung umsetzen, mit solchen automatischen Stufenschaltern zu versehen. An den Ortsnetztrafos waren sie bisher nicht erforderlich.
In Gebieten mit hoher Photovoltaikleistung muss jetzt die Spannung für ein kleineres Ortsnetz automatisch geregelt werden können. Ist die Einspeisung hoch, der Verbrauch aber niedrig, steigt die Netzspannung an; gibt es nur eine geringe oder gar keine Einspeisung bei hohem Verbrauch, sinkt die Netzspannung. Um jetzt die Netzspannung im zulässigen Toleranzband zu halten, auch wenn etwa gerade eine Wolke Schatten auf die PV-Anlage wirft, muss die Spannung zukünftig kontinuierlich automatisch geregelt werden.
Um den vielen zusätzlichen Strom aus PV-Anlagen überhaupt aufnehmen zu können, müssen nicht nur zusätzliche Leitungen, sondern auch zusätzliche Transformatorenstationen gebaut werden. Wo heute eine Station arbeitet, werden in Zukunft an bestimmten Orten oft fünf oder sechs erforderlich sein.
Doch jetzt müssen noch die Voraussetzungen geschaffen werden, das primäre Stromnetz zu regeln. Wie ist das möglich?
Wir müssen neben dem Primärnetz ein Sekundärnetz aufbauen, über das die Datenkommunikation erfolgt. Um das primäre Stromnetz sinnvoll regeln zu können, muss eine Vielzahl von netzrelevanten Daten aus dem Netz und an den Hausanschlüssen von Stromverbrauchern und Stromerzeugern, wie Spannung, Arbeit und Leistung, gesammelt und an die Steuerzentralen der Stromversorger weitergeleitet werden.
Wie sollen die Daten zunächst gesammelt werden?
Dazu installieren wir intelligente Zähler, die die wichtigen Daten aufnehmen und über die so genannte Powerline Communication (PLC) über die Niederspannungsleitungen an die Datenkonzentratoren weiterleiten, die an den Trafostationen installiert sind. Die Datenkonzentratoren senden die Daten über Lichtwellenleiter oder GPRS zum Energiedatenmanagementsystem in der Zentrale. Die Datenkommunikation erfolgt selbstverständlich auch in die umgekehrte Richtung, um beispielsweise Steuerimpulse zu senden, die Tarife umschalten und bestimmte Geräte ein- und ausschalten können, etwa die Wärmepumpe. Bisher gab es nur zwei Tarife für Tag und Nacht, jetzt können wir besondere Tarifpakete anbieten, etwa Wochenendtarife oder bestimmte Happy-Hour-Tarife am Sonntag, wenn die PV-Anlagen viel Strom einspeisen, aber auf der Abnehmerseite wenig Bedarf besteht.
Wie definieren sie einen intelligenten Zähler?
Ein intelligenter Zähler ist das Basisgerät für ein modernes Kommunikationssystem zwischen Kunden und Energieversorger, das in beide Richtungen Daten und Steuersignale austauschen kann. Er bietet dem Kunden vielfältige Anwendungsmöglichkeiten zum Energiemanagement im Haushalt (Smart Home) und liefert dem Energieversorger die notwendigen Daten und Fernwirktechnik zur Netzsteuerung (Smart Grid) und zur voll automatisierten Zählerfernauslesung und Energieabrechnung.
Der Strompreis wird steigen, auch mit der Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke?
Aufgrund der sehr hohen Investitionen in den Ausbau der Netze steigen die Netzentgelte, die mit knapp 30 Prozent einen wesentlichen Anteil am Strompreis haben. Außerdem beinhaltet der Strompreis derzeit etwa 43 Prozent Steuern und Abgaben. Die so genannte EEG-Abgabe zur Förderung der erneuerbaren Energien wird von derzeit 2,05 Cent/kWh im nächsten Jahr auf voraussichtlich 3,5 Cent/kWh dramatisch steigen. Stadtwerke und Regionalversorger betreiben ja keine Kernkraftwerke, sie müssen den Mehraufwand an die Kunden weitergeben. So werden auch die großen Energieversorgungsunternehmen verfahren, denn auch wenn sie die Kernkraftwerke jetzt länger betreiben dürfen, müssen sie einen Großteil des Gewinns aus den Laufzeitverlängerungen u.a. durch die Brennelementesteuer sofort über sechs Jahre hinweg abführen. Ohne Laufzeitverlängerung wären die meisten Kernkraftwerke nach dem ursprünglichen Beschluss noch einige Jahre am Netz geblieben, und das ohne steuerliche Belastungen. Die Laufzeitverlängerung wirkt sich für die Kernenergiebetreiber erst am langen Ende, frühestens in sechs Jahren, positiv aus.
Wie werden sich die höheren Preise auf die Industrie auswirken?
Weil die Preise steigen, wird es für große Industriebetriebe immer lohnender, eigene Kraftwerke zu bauen und zu betreiben – oder im Ausland zu produzieren. Auf jeden Fall wird eine Vielzahl weiterer Blockheizkraftwerke, Biogasanlagen, Windkraftanlagen und auch Fotovoltaikanlagen in Betrieb gehen. Eines ist auf jeden Fall sicher: Die Energieversorgung wird sich in den nächsten Jahre drastisch verändern.