Energieversorgungsmodell »Einsparkraftwerk«

Negawatt aus Tübingen

11. Februar 2014, 13:03 Uhr | Hagen Lang
© swt Stadtwerke Tübingen

Vor 25 Jahren prägte der Amerikaner Amory Lovins den Begriff »Negawatt« für eine Einheit eingesparter Energie. Die Stadtwerke Tübingen dachten in eine ähnliche Richtung und kreierten in ihrer Kampagne »Null-Komma-Strom: Wir sparen uns ein Kraftwerk« ein erfolgreiches Geschäfts- und PR-Konzept.

Amory Lovins war seiner Zeit voraus: Vor 25 Jahren, als noch »Umweltsaurier« die Kontinente unsicher machten, dachte er die Zukunft umweltfreundlicher Energieversorgung weiter. Kunden möchten keinen Strom erwerben, weil sie ihn verbrauchen »wollen«, so Lovins, sondern weil sie dadurch Dienstleistungen in Anspruch nehmen können, wie das Kochen, Haare trocknen und Wäsche waschen. Wer Energie einspart und dieselbe Dienstleistung realisiert, der sollte die eingesparte Energie auf einem Markt für »Negawatt« handeln können. Tübingen hat zwar keinen Sekundärmarkt für »Negawatt« geschaffen, stattdessen gibt es dort jetzt den »Null-Komma-Strom«.

Ziel der auf drei Jahre angelegten Kampagne der Stadtwerke Tübingen (swt) ist der Aufbau eines »Einsparkraftwerks«. Der Bau von Kraftwerkskapazitäten kostet Geld. Der einfache Gedanke: Das Geld kann man genauso in Energieeinsparung investieren. In der Logik Amory Lovins baut man dann ein »Negawatt-Kraftwerk«. Bis Ende 2014 sollte es der swt gelingen, die bei Projektbeginn angestrebten 1,5 Millionen kWh einzusparen, das entspräche der Jahresleistung eines 300-kW-Kraftwerkes. Bisher haben Kunden der swt 1,1 Millionen kW gespart, 74  Prozent der Zielvorgabe. Die swt schärfen mit der Kampagne gleichzeitig das Bewusstsein ihrer Kunden für das Energiesparen und positionieren sich als glaubwürdiger, ökologisch orientierter Energieversorger. So sieht erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit in einer Stadt mit vielen grün orientierten jungen Leuten und Studenten aus.

Derzeit besteht die swt-Kampagne aus sieben Bausteinen. Über Kooperationspartner bieten die swt den Austausch von alten Heizungspumpen gegen hocheffiziente neue an. Die Investition bezahlen die Kunden durch die realisierten Einsparungen über ihre Stromrechnung. Für Kühlschränke der Energieeffizienzklasse A++ bezahlt die swt ihren Kunden einen Zuschuss von je 50 €. Ein Stromsparcheck und Energiesparcoaching vermitteln den Bürgern das nötige Know-how für energiesparendes Verhalten. Hier kommen lebenspraktische Dinge zur Sprache, wie der Stromverbrauch von Standby-Schaltungen und die Kunst des energiesparenden Kochens. Wem ist schon bewusst, dass ein geschlossener Kochtopfdeckel den Kochvorgang um bis zu 75 Prozent effizienter macht. Auch bei Elektroherden gibt es Effizienzklassen, auf die man beim Kauf achten sollte. Dass bei Neuanschaffungen wenigstens Effizienzklasse A Pflicht ist, erfahren die Teilnehmer des Energiesparcoachings in Tübingen ebenfalls. Ferner können ab einem Stromverbrauch von wenigstens 4.500 kWh pro Jahr in Tübingen 25 Haushalte eine kostenlose Stromsparberatung erhalten. 100 Kunden bekommen zudem an sechs über ein Jahr verteilten Terminen ein Energiesparcoaching.

Auf Stromfresser im Haushalt zugeschnitten sind die Stromsparpakete, die die swt verkaufen. In einer SparBasis-Variante für 20 Euro und einer SparKomfort-Variante für 40 Euro enthalten sie hochwertige Stromsparhilfen wie LED, Strommessgeräte, Steckerleisten und Informationsbroschüren. Im Energiesparshop der swt kann man auch online Stromsparhilfen bestellen und den Einsparrechner die Geld- und CO2-Ersparnis berechnen lassen.

An Gewerbe, Handel und Industrie als Kooperationspartner wendet sich das Beleuchtungscontracting der swt. Über diese Partner erfolgt die Beratung von Kunden und die Planung und Ausführung beim Tausch alter Röhren und Birnen gegen neue, hocheffiziente Leuchtmittel. Für kleine und mittlere Unternehmen, die wenigstens Energiekosten von 5000 Euro jährlich aufweisen, bieten die swt eine KfW-förderfähige Energieberatung an, in der sie unabhängige Energieberater einsetzen. Die Außenwirkung der Kampagne stellt die swt durch einen Marketing-Mix sicher, der neben Presseterminen, Kampagnen- und Bausteinflyern einen Promostand und die Internetseite www.null-komma-strom.de umfasst.

Das Austauschprogramm von 500 Heizungspumpen á 420 kWh/a soll in Tübingen nach drei Jahren eine jährliche Einsparung von 210.000 kWh bringen, 100 ausgetauschte A++-Kühlschränke á 210 kWh/a sparen jährlich 21.000 kWh, so die Zielvorgabe. Durch die swt-Effizienzberatung erhofft man sich 30 mal 10 Prozent Einsparung von insgesamt 250.000 kWh/a, das ergibt zusammen 750.000 eingesparte kWh. Der zu kürende »Energiesparer des Jahres« soll 12.500 kWh/a einsparen, die Gesamtwirkung des Beleuchtungscontractings wird auf 300.000 kWh/a veranschlagt. Der Vertrieb des Energiesparpakets (30.000 kWh/a) und die Wirkung des Energiesparshops (150.000 kWh/a) soll weitere »Negawatts« realisieren. Das auf Ende 2014 avisierte Ziel von 1,5 Millionen eingesparter kWh bis Ende 2014 ist bereits jetzt in greifbarer Nähe.

Dass die Energiesparkampagne ein Erfolg wird, daran besteht kein Zweifel. Auch nicht daran, dass die swt bis dahin als Energiedienstleister Wachstum generiert und sich als ökologisch verantwortungsvoller Energieversorger profiliert haben.


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