Forschung zu Belastungen des Systems

Risiken für die Resilienz des Energiesystems mindern

31. Januar 2022, 12:36 Uhr | Kathrin Veigel
Viele Verbraucher, viele Erzeuger: das bedeutet für das Stromsystem der Zukunft Dezentralisierung und mehr Komplexität.
© madamlead/Adobe Stock

Das Stromsystem wird dezentraler und dadurch komplexer. Wie kann die Versorgungssicherheit trotz vielfältiger Belastungen der Netze gesichert und das Energiesystem resilient gestaltet werden? Diesen Fragen stehen geht ein gemeinsames Forschungsprojekt der Jacobs University Bremen und des OFFIS nach.

Schon jetzt erzeugen bundesweit mehr als zwei Millionen Photovoltaikanlagen Strom, bis 2030 sollen 15 Millionen E-Autos unterwegs sein. Hinzu kommen Windkraftanlagen, Wärmepumpen und Batteriespeicher. Für sich genommen sind die kleinen Verbraucher und Erzeuger von erneuerbaren Energien nicht essenziell für die Systemstabilität, in ihrer Gesamtheit sind sie es aufgrund der Gleichzeitigkeitseffekte schon.

Bei Sonnenschein springen die Photovoltaikanlagen an, zugleich laden E-Autos ihre Batterien auf, denn der Strompreis sinkt. Künftig sollen private Kleinanlagen auch im Fall von Engpässen im Stromnetz mit herangezogen werden, um diese aufzulösen oder zumindest abzuschwächen. Bisher erfüllen primär die konventionellen Kohle- und Gaskraftwerke diese Funktion.

»Die Netze können diese Sprünge nur in geringem Maße aushalten«, so Dr. Marius Buchmann, Projektleiter der Arbeitsgruppe »Bremen Energie Research« an der Jacobs University. »Die Möglichkeit kurzfristiger und durch Marktanreize synchronisierter Interaktionen im Stromnetz stellt die Netzbetreiber vor neue Herausforderungen und bedarf einer systematischen, simulationsbasierten Analyse.«

Die Forschenden betrachten diese Anforderungen in einem digitalisierten und vernetzten Stromsystem aus der Perspektive der Netzbetreiber. Sie werden künftig über verschiedene Marktmechanismen auf Systemdienstleistungen von verteilten Anlagen zurückgreifen. So sollen Photovoltaikanlagen oder auch Wärmepumpen in Zukunft zur Stabilisierung der Netzspannung bei 50 Hertz beitragen.

»Wir modellieren verschiedene Szenarien für die Marktregeln dieser Systemdienstleistungsmärkte und schauen uns an, wie sich das Verhalten der einzelnen Akteure unter diesen sich ändernden Rahmenbedingungen auf die Stabilität der Netze auswirkt«, erklärt Dr. Buchmann.

Modellierung mithilfe der Spieltheorie

Kommt es zu kritischen Situationen? Und wie können diese vermieden werden? Um dies zu ergründen, greifen die Forschenden der Jacobs University unter Leitung von Dr. Gert Brunekreeft, Professor für Energieökonomie, auf die Spieltheorie zurück. Diese Modellergebnisse werden dann mit den Modellierungen des OFFIS – Institut für Informatik zusammengeführt.

»Wir kombinieren Verfahren der künstlichen Intelligenz, insbesondere aus dem Bereich der selbstlernenden Systeme, mit bewährten Simulationstechniken, um die Interaktionen zwischen Prosumern, die am Markt agieren, und der elektrischen Infrastruktur simulativ abzubilden. Dabei sollen die Marktteilnehmer in der Simulation eigenständig Gebotsstrategien lernen, um eine adaptive und damit realitätsnahe Reaktion der Prosumer auf Marktanreize untersuchen zu können«, so Dr. Astrid Nieße, Professorin für digitalisierte Energiesysteme an der Universität Oldenburg und wissenschaftliche Leiterin im OFFIS. Prosumer sind sowohl Erzeuger als auch Konsumenten von Strom.

Ziel des Forschungsvorhabens mit dem Titel »Resilienz im digitalisierten Stromsystem: Marktregeln für den Umgang mit Gleichzeitigkeitseffekten in Systemdienstleitungsmärkten« ist die Entwicklung einer Toolbox. Die in diesem Werkzeugkasten enthaltenen Instrumente sollen es den zentralen Akteuren ermöglichen, die Auswirkungen neuer Marktregeln auf das Akteursverhalten und damit auf die Resilienz des Stromsystems zu erkennen und zu bewerten. Der Einsatz und die Weiterentwicklung von Open-Source-Software und die umfassende Nutzung und Bereitstellung von Open Data ist dabei ein wesentlicher Anspruch des Projekts.


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